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- Begabungskongresse und Veranstaltungen
Tagung des Netzwerks Begabungsförderung und des LISSA-Preises: «Kreativität an Schulen kultivieren» Samstag, 9. November 2024 in der alten Kantonsschule Aarau Mehr erfahren 10. Augsburger Bildungs- und Begabungstag: Bildung zum Glück Donnerstag, 7. November 2024 (online) und Freitag, 8.11.24 in Augsburg Online: Impulsvortrag «Positive Bildung – Schulen zum Aufblühen» von Dipl. Psych. Tobias Rahm am 7.11.24 von 19.00-20.30 Uhr (Zoom-Zugangsdaten sind am 5.11.24 über den nachfolgenden Link zu finden) Mehr erfahren Online: Entdeckendes Mathematiklernen (Begabungslotse) 15. November 2024 von 9.00 bis 13.00 Uhr via Zoom (kostenfrei) Mehr erfahren Online: Resilienz stärken – Stärken fördern (Begabungslotse) 26. November 2024 von 14.00 bis 18.00 Uhr via Zoom (kostenfrei) Mehr erfahren Online: Jugendliche durch Selbstwirksamkeit aktivieren (Begabungslotse) 12. Dezember 2024 von 14.00 bis 18.00 Uhr via Zoom (kostenfrei) Mehr erfahren Tagung Begabungsförderung heute: «Mitgestalten der Lebenswelt und Zukunft» Samstag, 22. März 2025 an der PHSG in Rorschach Mehr erfahren 17. Symposium Begabung 2025 Samstag, 10. Mai 2025 in Zug Mehr erfahren Online-Tagung «Perspektive Begabung»: Neu lehren und lernen 20.-21. Mai 2025 von 15.00 bis 18.00 Uhr via Zoom (kostenfrei) Mehr erfahren 26th WCGTC® World Conference: The Power of Gifted Education and Talent Development in a Changing World 29. Juli bis 2. August 2025 in Braga, Portugal Mehr erfahren 12. Internationaler ÖZBF-Kongress 2025 «Emotion und Begabung» Vom 6. bis 8. November 2025 findet der nächste ÖZBF-Kongress an der PH Salzburg statt. Mehr erfahren Vergangene Veranstaltungen 8. Münsterscher Bildungskongress (ICBF und lif) 18. bis 21. September 2024 in Münster (D) Potenziale entwickeln – Schule transformieren – Zukunft gestalten Mehr erfahren Expertengespräche Begabungs- und Begabtenförderung – virtuelle Durchführung Samstag, 11. November 2023, 14.00–16.00 Uhr, online Future Skills: Zukunftsfähig durch Begabungs- und Begabtenförderung – wie sich Schulen auf die Herausforderungen von morgen vorbereiten können. Mehr erfahren
- Münchner (Hoch-) Begabungsmodell von Heller, Perleth und Hany (1994, 2002)
Das Münchner (Hoch-)Begabungsmodell geht von besonderen Dispositionen aus und bezieht sich dabei auf die «Multiplen Intelligenzen» nach Gardner (1978). Angeborene Begabungsfaktoren können bei günstigen nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen und unter der Voraussetzung günstiger sozialer Faktoren in Hochleistungsverhalten umgesetzt werden. Unter den Begabungsfaktoren werden intellektuelle Fähigkeiten als ein Begabungsbereich neben vier anderen genannt. Besondere Begabung wird von der Münchner Forschungsgruppe entsprechend ihres Modells als individuelle kognitive, motivationale und soziale Möglichkeit betrachtet, Höchstleistungen in einem oder mehreren Bereich/en zu erbringen, z.B. auf mathematischem, sprachlichem oder künstlerischem Gebiet (Heller, 1990). Alle aktuellen Modelle treffen eine Unterscheidung zwischen Bedingungsfaktoren, die angeboren sind (und damit entweder vorhanden sind oder nicht) und Persönlichkeits- und Umweltfaktoren, die hinzukommen müssen, um eine vorhandene Disposition in Hochleistungsverhalten umzusetzen. Besondere Begabung und entsprechendes Hochleistungsverhalten sind das Ergebnis einer dynamischen Wechselwirkung zwischen Anlage, individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und stimulierenden oder hemmenden Umweltfaktoren. Darin liegt die zentrale Bedeutung, die einem begabungs- und begabtenfördernden Unterricht in der Schule zukommt.
- Woran erkennen Sie besonders begabte Kinder?
Als Anhaltspunkte zum Erkennen besonderer Begabungen existieren zahlreiche Beobachtungsraster. Diese sind als Indizien, Möglichkeiten und Beobachtungslinien zu verstehen und keinesfalls als eine Art Checkliste, die von den einzelnen Kindern vollständig erfüllt werden könnten. Der Übersichtlichkeit halber unterscheiden wir drei Bereiche möglicher Verhaltensmerkmale: Merkmale des Lernens und des Denkens Merkmale der Arbeitshaltung und des Interesses Merkmale des Sozialen Verhalten 1. Merkmale des Lernens und des Denkens als Hinweis auf hohe Begabung hohes Detailwissen in einzelnen Bereichen ungewöhnlicher und umfangreicher Wortschatz für ihr Alter ausdrucksvolle, ausgearbeitete und flüssige Sprache frühes Interesse an Buchstaben, Zahlen, Zeichen und Symbolen häufig früh selbständig angeeignete Lesekompetenz (zw. 3 u. 6. Lebensjahr) ungewöhnlich schnelles Lernen am Schulanfang ausgeprägte Fähigkeit, sich Fakten schnell merken zu können hervorragende Gedächtnisleistungen (z.T. interessenabhängig) genaues Durchschauen von Ursache-Wirkungsbeziehungen intensive Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden leichtes Erfassen von Muster, Strukturen und Ordnungsprinzipien gutes Erkennen von zugrundeliegenden Prinzipien bei komplexen Aufgaben besondere Fähigkeit, gültige Verallgemeinerungen herzustellen aussergewöhnlich gute Beobachtungsgabe, sieht unerwartete Détails selbstmotiviertes Lesen vieler Bücher; Bevorzugung von Büchern, die über die Altersstufe deutlich hinausgehen komplexe Informationsverarbeitung, die manchmal für Lehrpersonen, Eltern und Lernbegleiter/innen nicht ohne weiteres nachzuvollziehen sind die Tiefe und der Abstraktionsgrad ihres Denkens und Fühlens sind besonders ausgeprägt frühes reflexives und logisches Denken kritisches, unabhängiges und wertendes Denken besondere Flexibilität im Denken, besonders schöpferisches und oft unangepasstes Denken (Einsichten - Quersichten – Übertragungen, divergentes Denken; das Finden neuer und origineller Ideen) 2. Arbeitshaltung und Interesse als Hinweis auf hohe Begabung selbstvergessenes Aufgehen in bestimmten Problemen (Flow-Erleben); auch: nicht loslassen können Bemühen, Aufgaben stets vollständig zu lösen Setzen von hohen Leistungszielen und Lösen (selbst) gestellter Aufgaben (oft mit einem Minimum an Anerkennung und Hilfe durch Erwachsene) hoher Anspruch an sich selbst, Streben nach Perfektion Kritische Haltung gegenüber dem eigenen Tempo (Ungeduld) oder Ergebnis; oft hohe Selbstkritik (im Zusammenhang mit Perfektionismus und Angst vor dem Versagen) ausgeprägtes, meist anhaltendes Neugierverhalten mit dem Bestreben, Fragen und thematische Zusammenhänge in möglichst vielen Facetten zu durchdringen breites Interessensspektrum (kann aber auch eng und spezifisch sein!) Interesse an vielen «Erwachsenenthemen» wie Religion, Politik, Philosophie, Umweltfragen, Krieg, Sexualität, Gerechtigkeit in der Welt, usw. (viele moralische und philosophische Fragen) Bevorzugung von unabhängigem Arbeiten, um hinreichend Zeit für das Durchdenken eines Problems zu haben oft (aber nicht immer!) gute Fähigkeit zu planen, zu strukturieren und zu organisieren; auch in Bezug auf Menschen (Führungsqualität); Fähigkeit, problemlos und selbstverständlich vorauszudenken und Modelle zu entwickeln Langeweile bei Wiederholungen und Abneigung gegenüber Routinearbeiten starkes Bedürfnis nach Selbststeuerung und Selbstbestimmung von Tätigkeiten und Handlungsrichtungen manchmal ungeschickt oder abwesend wirkend. oft hohes Energieniveau (hochbegabte Kinder wirken oft hyperaktiv!) 3. Merkmale des sozialen Verhaltens als Hinweis auf hohe Begabung Häufig hoch sensible Wahrnehmungsfähigkeit sozialer Interaktionen Beschäftigung mit grundlegenden psychosozialen Fragestellungen («Recht – Unrecht», «Gut – Böse»); oft hohe moralische Ansprüche an sich und die Umwelt Einfühlvermögen und Aufgeschlossenheit für politische und soziale Probleme starker Gerechtigkeitssinn, verbunden mit der Bereitschaft, sich ggf. auch gegen Autoritäten zu engagieren Individualismus; manchmal ausgeprägte Eigenwilligkeit; streben nach Eigensinn, d.h. Wille einen eigenen Sinn in Regelungen oder Gegebenheiten zu finden; Nonkonformismus Akzeptanz von Meinungen und Autoritäten oft erst nach einer kritischen Prüfung oft besondere Verantwortungsbereitschaft und –fähigkeit, Zuverlässigkeit unter Umständen Neigung, schnell über Situationen zu bestimmen selbstbestimmte Wahl von Gleichbefähigten als Freunde, häufig Ältere. Quellen: Heilmann, K. (1998) Hochbegabung erkennen, hochbegabtes Kind, Schüler, Schule BMBF (2001): Begabte Kinder finden und fördern. Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer. Heinbokel A. Erkennen, Probleme, Lösungswege (2001)
- Begabungsmodelle, Entwicklungsmodelle und Leistungsmodelle
Text: Martina Kolcava, überarbeitet von Stephanie Schmitt-Bosslet; ergänzt durch Beiträge von Victor Müller-Oppliger und Albert Ziegler Im Folgenden werden mehrere Modelle der Hochbegabung vorgestellt. Aus ihrer Anordnung lässt sich eine Reihe von Entwicklungen in der Intelligenz- und Begabungsforschung im ausgehenden 20. Jahrhundert herauslesen. Das wohl bekannteste und dennoch einfachste Modell ist das Drei-Ringe-Modell von Renzulli, der sich damit von der bis dahin vorherrschenden Theorie der reinen Intelligenzdefinition von Hochbegabung distanziert, indem er zwei weitere Komponenten und das Umfeld hinzufügt. Das Drei-Ringe-Modell von J. Renzulli (1978) Renzullis «3 Rings» und interessante amerikanische Ansätze (von Victor Müller-Oppliger) Triadisches Interdependenzmodell von F. J. Moenks (1986) Begabungs- und Talentmodell von Francois Gagné (1993) Mehrdimensionales Begabungskonzept von Urban (1990) Das Münchner Begabungsmodell von K. Heller, Perleth & Hany (1994) Münchner (Hoch-)Begabungsmodell von Heller, Perleth und Hany (1994, 2002) (von Victor Müller-Oppliger): Aktiotopmodell nach Albert Ziegler (2005) Aktiotop-Modell (von Albert Ziegler): Integratives Begabungsmodell nach Christian Fischer (2003) Das Ökologische Begabungsmodell von Müller-Oppliger (2009 / 2014) Paradigmenwechsel zu einem ökologischen Begabungsmodell (von Victor Müller-Oppliger) Modell individualisierter Hochbegabung nach Trautmann (2003) Die Begabungsmodelle auf einen Blick von Martina Kolcava, überarbeitet von Stephanie Schmitt-Bosslet Weiterführende Literatur Begabungsmodelle: Entwicklungslinien und Positionen zur Erfassung des Phänomens der (Hoch-)Begabung von Victor Müller-Oppliger Quellen: Fischer, Ch. (2008). Lernstrategien in der Begabtenförderung. Strategien des selbstgesteuerten Lernens in der indi- viduellen Förderung besonders begabter Kinder. In: news&science özbf, Nr.19 / Ausgabe 2. Fischer, Ch.; Mönks, F.J.; Grindel, E.(Hrsg) (22008).Curriculum und Didaktik der Begabtenförderung. Begabungen fördern, Lernen individualisieren. Berlin: LIT Verlag. Heller, K.A. (Hrsg.) (22000). Lehrbuch Begabungsdiagnostik in der Schul- und Erziehungsberatung. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Verlag Hans Huber. 2. vollständig überarbeitete Auflage. Holling, H.; Preckel, F.; Vock, M. (2004). Intelligenzdiagnostik. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, Oxford, Prag: Hogrefe-Verlag. Holling, H.; Kanning, U.P. (1999). Hochbegabung. Forschungsergebnisse und Fördermöglichkeiten. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Hogrefe-Verlag. Mönks, F.J.; Ypenburg, I.H. (2005). Unser Kind ist hochbegabt – Ein Leitfaden für Eltern und Lehrer. München, Basel: Reinhardt, 4. Auflage. Müller-Oppliger, V. (2009). Impulse zu Begabungsmodellen und Menschenbild – Ein dialektisches Begabungsmodell. Gadheimer Tagung: Karg Stiftung. Müller-Oppliger, V. (2014). Paradigmenwechsel zu einem ökologischen Begabungsmodell. In: Weigand, G.; Müller- Oppliger, V.; Hackl, A.; Schmid, G. (Hrsg) (2014): Personorientierte Begabungsförderung. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. Renzulli, J. S. (2003). Eine Erweiterung des Begabungsbegriffs unter Einbeziehung co-kognitiver Merkmale mit dem Ziel der Vermehrung von sozialem Kapital. Vortrag am Kongress „Curriculum und Didaktik der Begabtenförderung – Begabungen fördern, Lernen individualisieren“ vom 24. – 27.09.2003 an der Universität Münster. Zusammenfassung und Uebersetzung: Monika Jost (2005/6). Labyrinth 86/2005 und Labyrinth 87/2006. Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind. Rost, D. H. (Hrsg.) (2000): Hochbegabte und hochleistende Jugendliche. New York; Berlin; München, Münster: Waxmann Verlag GmbH. Trautmann, T. (2010). Einführung in die Hochbegabtenpädagogik. Grundlagen der Schulpädagogik Band 53. Baltmannsweiler: Hohengehren. Vock, M.; Holling, H. (2007). Begabung und Berufserfolg. In Heller, K.A.; Ziegler, A. (Hrsg.): Begabt sein in Deutschland. LIT-Verlag. Ziegler, A. (2009). Ganzheitliche Förderung umfasst mehr als nur die Person: Aktiotop- und Soziotopförderung. In Heilpädagogik online 2/09.
- Glossar zur Begabungs- und Begabtenförderung
Das Glossar beruht auf wissenschaftlichen Definitionen zur Begabungs-/Begabtenforschung und zeigt die laufenden internationalen Diskurse und aktuellen Verständnisse auf. Adaptives Lernen | Akzeleration | Altersdurchmischtes Lernen (AdL) | Atelierbetrieb | Begabte | Begabtenförderung | Begabung | Begabungsförderung | Begabungsmodelle | Bezugsnorm | Compacting | Deckeneffekt | Dialogisches Lernen | Differenzierung | Drehtürmodell | Dysfunktionaler Perfektionismus | Enrichment | Freiarbeit (Typ III-Aktivität) | Frühstudium | Grouping | Heterogenität – Diversität | Hochbegabung | Identifikation | Inklusion | Kompetenzraster | Lernlandschaften | Lerntagebuch/Lernjournal | Mentoren, Mentoring | Minderleistung – Underachievement | Multiple Intelligenzen | Overexcitability | Portfolio | Pull-Out | Ressourcenzimmer | Schulischer Misfit | Selbstgesteuertes Lernen – Selbstorganisiertes Lernen | Taxonomien | Talent | Twice Exceptional | Zone nächster Entwicklung Adaptives Lernen Beim adaptiven Lernen wird eine optimale Passung zwischen den Voraussetzungen und Möglichkeiten der Lernenden, dem Lernangebot sowie der Lernunterstützung hergestellt. Adaptive Lehrkompetenz bezeichnet die Kompetenz, die Planung und Durchführung von Unterricht so auf die individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler auszurichten und beim Unterricht laufend anzupassen, dass für möglichst viele von ihnen bestmögliche Bedingungen zum Erreichen der Lernziele geschaffen werden (s. Kap. 4). Akzeleration Akzeleration wird unterschiedlich verwendet. Einerseits rein strukturell, wenn Schülerinnen oder Schüler den vorgesehenen Lehrplan oder Teile davon früher beginnen, beenden oder durcharbeiten können, als es üblich und gesetzlich vorgesehen ist. Dazu gehören Früheinschulung, Überspringen einer Klasse oder der vorzeitige Übertritt in eine höhere Schulstufe. Damit werden die generellen Anforderungen ohne Berücksichtigung sozialer oder altersspezifischer Faktoren erhöht. Akzeleration bedeutet andererseits, dass die Lerninhalte durch abgekürztes Bearbeiten einzelner Unterrichtseinheiten oder über mehrere Fachbereiche hinweg beschleunigt durchgearbeitet werden (Compacting). Durch diese didaktische Massnahme wird Raum für Enrichment geschaffen (s. Kap. 5.1). Altersdurchmischtes Lernen (AdL) Anstelle von Jahrgangsklassen werden altersdurchmischte Abteilungen/Klassen/Gruppen geführt. Die individuelle Förderung für unterschiedliche Begabungen und Entwicklungsstadien kann dadurch organisatorisch unterstützt werden. Die Jüngeren lernen von den Älteren und umgekehrt, Lernen geschieht zyklisch. Eigenverantwortliches und eigenständiges Lernen wird gezielt gefördert und geübt. Atelierbetrieb Der Atelierbetrieb ist eine Form von Enrichment (Anreicherung über den Klassenunterricht hinaus). Schülerinnen und Schüler können während bestimmten Zeitfenstern zwischen unterschiedlichen Angeboten aus Kursen wählen – meist zusätzlich zu den regulären Schulfächern – und ihren eigenen Stundenplan nach persönlichen Interessen und Fähigkeiten mitgestalten. Im Vordergrund stehen interessengeleitetes und eigenständiges Arbeiten sowie die Möglichkeit zur Öffnung der Horizonte über die traditionellen Schulfächer hinaus. Begabte Als «begabt» werden in der Regel Personen bezeichnet, die sich im Vergleich mit anderen durch eine höhere Leistungsfähigkeit und ein grösseres Förderpotenzial auszeichnen. Dazu zeigen Begabte meist weitere nicht kognitive Persönlichkeitsmerkmale in hoher Ausprägung, die für die Entwicklung ihres Leistungspotenzials förderlich sind. Dies sind u. a. eine hohe Leistungsmotivation, günstige Arbeits- und Lernstrategien sowie ein positives Selbstkonzept. Damit eine Begabung sich ausprägen kann, müssen verschiedene Faktoren zusammenspielen. So unterstützen eine förderliche familiäre und soziale Lernumwelt und eine auf positive Resonanz und die Förderung von Begabungspotenzialen ausgerichtete Schule die Begabungsentwicklung (s. Kap. 1.2). Begabtenförderung Der Begriff Begabtenförderung umschreibt Massnahmen zur Förderung von Kindern und jungen Menschen mit überdurchschnittlichen Leistungspotenzialen, die über den normativen Regelunterricht hinausgehen. Dabei umfasst Begabtenförderung alle Bildungsdomänen; die schulischen kognitiven Fächer, aber auch Begabungsdomänen, die im schulischen Unterricht oft nur eine untergeordnete Rolle spielen (z. B. körperlich-sportliche, künstlerisch-gestaltende, musikalische, soziale Begabung) oder Interessengebiete, die ausserhalb der schulischen Lehrpläne liegen. Beispiele zur Begabtenförderung sind: Compacting des Basislehrplans zur Straffung unnötiger Trainings- und Übungszeit Unterrichtsergänzendes Enrichment und Pullout-Programme zur individuellen Förderung spezifischer Begabungen in individuellen Projekten Akzeleration als Überspringen von Lerneinheiten oder Zulassung zu höheren Leistungskursen, Klassen oder zur vorzeitigen Hochschulbelegung im Interessengebiet Mentoring als individuelle Förderung durch eine qualifizierte Fachperson Ergänzende ausserschulischen Förderaktivitäten (Vereine, Angebote, Wettbewerbe, Camps,u,a,) (s. Kap. 5). Begabung Im Alltagsgebrauch wird der Begriff «Begabung» als vorhandene Fähigkeiten verstanden. Häufig verbindet sich mit der Begabungszuschreibung zugleich auch ein Verständnis des Besonderen. Ein durchschnittlicher Klavierspieler wird in der Regel nicht als «begabt» beschrieben. Die Zuschreibung einer Begabung verweist daher auf ein überdurchschnittliches Potenzial, das gefördert werden könnte/sollte (Begabungsförderung). Weil der Begriff in der Alltagessprache oft unspezifisch verwendet wird, empfiehlt sich die Unterscheidung in vorhandene «Begabungspotenziale» der Person und in die in Bildungs- und Lernprozessen realisierte oft so bezeichnete (Hoch-)Begabung als «Hochleistung». Aktuelle und mehrdimensionale Begabungsmodelle umfassen neben intellektuellen und kognitiven Fähigkeiten auch künstlerisch-kreative, technisch-praktische, körperlich-sportliche und sozial-emotionale Fähigkeiten (s. Kap. 3.2; 3.3). Begabungsförderung Der Auftrags zur Begabungsförderung in Bildung und Erziehung ist Ausdruck eines bildungsdemokratischen Lehr-Lern-Verständnisses, das alle Schülerinnen und Schüler ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend optimal fördern will. Dieses Bildungsversprechen rückt das Individuum mit seinem persönlichen Bildungspotenzial, seinem (vorläufigen) Wissen und Können und seinen spezifischen Lernfähigkeiten, Interessen und Motiven ins Zentrum. Schule und Unterricht wollen den jeweiligen Bildungs- und Entwicklungsvoraussetzungen aller Schülerinnen und Schüler gerecht werden. Dies erfordert von Lehrpersonen, sich an den Lern- und Leistungspotenzialen der Lernenden zu orientieren und Lernmaterial, - medien und -methoden entsprechend differenziert zu gestalten und einzusetzen (s. Kap. 2; 3). Begabungsmodelle Unterschiedliche Begabungsmodelle versuchen, die Bedingungen der (Hoch-)Begabung strukturell und prozessual auszuweisen. Gängige Modelle sind das grundlegende systemische «Drei-Ringe-Modell» nach Renzulli (1978), das davon abgeleitete «Triadische Modell» von Mönks (1990), das «Talentmodell» von Gagné (1993) sowie das Münchner Hochbegabungsmodell» nach Heller, Hany und Perleth (1994). Neuere Modelle sind das «Aktiotop-Modell» nach Ziegler (2005/09), das die soziokulturellen Bedingungen in den Vordergrund rückt, das «Integrative Begabungsmodell» von Fischer (2006) zum Entwicklungsprozess sowie das «Ökologische Begabungsmodell» (Müller-Oppliger 2009/14), das als pädagogisches Modell auf die personale Entwicklung von Begabungen in Lernprozessen und deren didaktische Umsetzung fokussiert. Zur weitergehenden Auseinandersetzung mit den diversen Begabungsmodellen siehe www.begabungsf örderung.com . Bezugsnorm Soziale Bezugsnorm: Vergleich der Leistungen einer Schülerin/eines Schülers mit den Leistungen anderer Schülerinnen und Schüler (z.B. innerhalb der Klasse); Soziales Ranking innerhalb von Lerngruppen Formative oder individuelle Bezugsnorm: Vergleich der aktuellen Leistung eines Schülers/einer Schülerin mit früheren Leistungen; Beurteilung des Lernzuwachses resp. der Potenzialrealisierung. Kriteriale oder Sach-Bezugsnorm: Vergleich der Leistungen einer Schülerin/eines Schülers mit festgelegten Kompetenzen, Qualitätsanforderungen oder Kriterien (s. Kap. 10.2). Compacting Begabte Kinder und Jugendliche arbeiten nicht zwangsläufig schneller als ihre Klassenkameraden; sie lernen aber schneller und brauchen oft weniger Einführungs- und Übungszeit als andere. Unter Curriculum Compacting versteht man die Straffung und Intensivierung des Basislehrplans nach individuellen Fähigkeiten. Dadurch soll die Wiederholung von bereits gelerntem Stoff vermieden werden. Wenn Lernende etwas schon beherrschen, kann die unnötige Übungszeit entweder zur ergänzenden Vertiefung des Themas oder für alternative Lerninhalte (persönliche Projekte, Enrichmentangebote, o.a.) eingesetzt werden. Compacting erhöht die individuelle Herausforderung innerhalb des regulären Unterrichts und vermeidet sogenannte «Warteräume» bis die Mitschüler und Mitschülerinnen die Klassenlernziele erreichen. Selbstorganisiertes Lernen mit Lernkontrollen, die zu unterschiedlichen Zeiten (ggf. auch mehrfach) durchgeführt werden können und Lernen mit Erweiterten Lernformen mit Teil-Kompetenznachweisen eignen sich didaktisch zur Lehrplanstraffung ebenso wie Vor- oder Zwischentests, in denen die Lernenden zeigen, dass sie einen Inhalt bereits beherrschen (s. Kap. 5). Deckeneffekt Ein Problem gewisser Intelligenztests besteht darin, dass Hochbegabte manchmal die meisten oder alle Aufgaben lösen und damit an die Decke des Testverfahrens stossen. Dies verhindert eine Aussage darüber, was die Kinder und Jugendlichen wirklich zu leisten imstande wären. Der Begriff Deckeneffekt entstand in der Testpsychologie; er kann aber auch auf schulischen Unterricht transformiert werden: Unterricht, der nur auf «richtig oder falsch» oder das «Erfüllen bestimmter Erwartungen» angelegt ist und keine Gelegenheiten bietet, zu zeigen, was Lernende über Lehrerwartungen hinaus wirklich zu leisten imstande wären. Dialogisches Lernen Dialogisches Lernen setzt sich ab vom tradierten Belehrungsmodell, in welchem Wissende die Unwissenden instruieren. Zwar sind Lerndialoge immer Dialoge zwischen Ungleichen; dennoch begegnen Lehrende und Lernende sich im Lerndialog auf Augenhöhe. Sie formulieren dabei ihre Positionen und dahinterliegenden Begründungen. Im Gespräch stellen Lernende ihr Verständnis der Lerninhalte vor. Im anschliessenden Dialog werden Missinterpretationen und Fehler entdeckt, diskutiert und Sachinhalte geklärt (Co-Konstruktion). Der Lerndialog ermöglicht Lernenden und Lehrenden Einsichten in die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler sowie Verstehen und Respekt vor den beidseitigen Zugangsweisen. Dialogisches Lernen orientiert sich an den Prinzipien der Subjektorientierung (des Lernenden und dessen Verstehens), der Inhaltsorientierung (Klärung der Sache im Gespräch) und der Prozessorientierung (gemeinsamer Lernweg). Lerndialoge sind ein grundlegendes Element im Lernen mit Portfolios und Lernjournalen (s. Kap. 12). Differenzierung Differenzierung ist bestrebt, eine den individuell unterschiedlichen Fähigkeiten den Schülerinnen und Schülern entsprechende Lernsituation zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, erfolgt Differenzierung auf zwei Ebenen: Als Innere Differenzierung (Binnendifferenzierung) wird die Anpassung des Lehrplans, der Lernziele und Lernmethoden an die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Fähigkeiten und Interessen innerhalb heterogener Lerngruppen/Klassen bezeichnet. Die klassenintegrative Begabungsförderung, in der unterschiedlich begabte Lernenden miteinander und voneinander lernen, ist ein Anliegen innerer Differenzierung. Erweiterte Lernformen und individualisiertes Lernen in differenzierenden Lernlandschaften sind Ausdruck innerer Differenzierung des Unterrichts. Äussere Differenzierung umfasst alle strukturellen Differenzierungsmöglichkeiten, verschiedenen Niveaus und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden. Dies beinhaltet klassen-, alters- und schulübergreifende Angebote spezifischer (Begabungs-)Förderung, interessengeleitetes Lernen in Wahl- und Neigungsbereichen oder Niveaugruppen (Grouping) sowie den Regelunterricht ergänzende Pullout-Programme und Mentoring. Zur äusseren Differenzierung gehören aber auch generell die Durchlässigkeit eines Bildungssystems (zwischen Schultypen, Leistungsniveaus, zwischen eher beruflich und eher akademisch orientierten Bildungsgängen) sowie neue Formen der Leistungsbewertung, welche die Kompetenzen der Lernenden personbezogen und an Kriterien orientiert in Leistungsprofilen ausweisen. Generalisierte und statische Zuweisungen von Jugendlichen in fest umschriebene Leistungsstufen (Schultypen) haben sich in den vergangenen Jahren als «Scheinhomogenität» erwiesen (s. Kap. 3.6) . Gymnasiasten und (Hoch-)Begabte stellen ebenso wenig homogene Schüler/innengruppen dar wie Lernbeeinträchtigte. Drehtürmodell Das «Drehtürmodell» beruht auf dem Prinzip, dass die Schülerinnen und Schüler zu festgelegten Zeitfenstern den Unterricht in der Regeklasse verlassen können um in dieser Zeit selbstständige Projekte zu bearbeiten, Lerninhalte in einer höheren Klassenstufe zu besuchen oder an einem klassenübergreifenden Begabungsprogramm teilzunehmen. Die Bezeichnung «Drehtür-Modell» signalisiert, dass Lernende zwischen dem regulärem Unterricht und individueller Förderung ohne aufwändige Administrativverfahren in hoher Flexibilität wechseln können, wenn das Basislernprogramm garantiert und eine zusätzliche Förderung angezeigt ist. Jugendliche nehmen in dieser Zeit die Angebote in klassenübergreifenden Talent Pools, Pull-out-Stunden oder in Begabtenateliers wahr; in fortgeschrittenen Schularten geben Freistellungen vom Normunterricht auch die Gelegenheit, mit ausserschulischen Berufsleuten, Künstlern, Forschern und Fachmentoren oder -mentorinnen zusammenzuarbeiten. Die flexible Handhabung nach dem «Drehtürmodell» entspricht dem dynamischen Verlauf von Begabungen. Auf diese Weise nehmen Lernende dann an Förderprogrammen teil, wenn sie überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen imstande sind. Sie verlassen das Begabungsprogramm, wenn die Lernzeit anders benötigen wird oder wenn sich entwicklungsbedingte oder persönliche situative Veränderungen ergeben haben. (s. Kap. 11.2). Das Drehtürmodell ermöglicht auch, probeweise und „auf Zeit“ ein Klassenüberspringen oder einen Wechsel innerhalb von Niveaustufen zu versuchen. Es schafft - als Alternative für oft fragwürdige prognostische Identifikations- und Zuweisungsverfahren - einen realen Erfahrungsraum als Grundlage für Förderentscheide. Dysfunktionaler Perfektionismus Bei dysfunktionalem Perfektionismus leiden Leistungsstarke unter übersteigert hohen Selbstansprüchen, denen sie nicht zu genügen glauben. Die pathologische Angst vor Misserfolg kann zu Versagensängsten, Blockaden und einem Einbruch des Selbstwertgefühls führen. Enrichment Enrichment (Anreicherung) kann sowohl eine inhaltliche Vertiefung und Erweiterung innerhalb gemeinsamer Lerninhalte umfassen als auch weiterführende Lernaktivitäten über den schulischen Lehrplan hinaus. Enrichment regt interessierte und motivierte Schüler und Schülerinnen an, sich in ihren Begabungsdomänen vertieft weiterzuentwickeln oder sich neue Interessengebiete zu erschliessen. Ein umfassendes schulisches Enrichment-Modell (SEM), das sich internationaler Akzeptanz und Umsetzung erfreut, wurde 1997 durch Renzulli/Reis entwickelt. (s. Kap. 5.3.3). Es beinhaltet u.a. Typ l-Aktivitäten: Anregende Begegnungen mit Fachpersonen und «Schnupperangebote» zur Erschliessung neuer Interessen. Initiation und Identifikation Typ ll-Aktivitäten: Aufbau von Strategien, Techniken und Methodenkompetenz zu interessengeleitetem, projektbezogenem Lernen. Befähigung zu selbstorganisiertem Lernen und Gestalten mit dem Fokus auf erhöhte Anforderungen. Typ lll-Aktivitäten: Durchführung bedeutsamer eigenständiger Projekte in Einzelarbeit oder Kleingruppe. Präsentation und Reflexion des Geleisteten. Freiarbeit (Typ III-Aktivität) Die Freiarbeit ist eine anspruchsvolle Unterrichtsform, in der Schülerinnen und Schüler sich - in Absprache mit der Lehrperson eigene Ziele setzen, die sie erreichen möchten (Prozess- und Produktziele resp. fachliche, persönlichkeitsbildende und soziale Ziele). In der selbstständigen Auseinandersetzung mit ihren Themen und Fragestellungen erhalten Lernende einen grossen Freiraum, ihre selbst gewählten Tätigkeiten/Projekte zu planen, zu organisieren, durchzuführen und auszuwerten. Dies beinhaltet auch das Setzen von Kriterien und Gütemassstäben (Selbstverpflichtung), denen sie ihre Leistung anschliessend unterziehen. Frühstudium Angebot an leistungsstarke Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Mittel- oder Oberstufe, bereits parallel zur Schulausbildung mit einem Hochschulstudium zu beginnen, wobei ihnen bei der Weiterführung des Studiums nach der Matur resp. Berufsmatur vorher erbrachte Studienleistungen anerkannt werden (s. Kap. 6). Grouping Unter Grouping (Gruppenbildung) wird das Förderprinzip verstanden, (hoch-)begabte Schüler und Schülerinnen fach- oder themenspezifisch aber klassenübergreifend in Leistungs- oder in Interessensgruppen zu fördern. Forschungsergebnisse belegen, dass für viele (hoch-)begabte Schülerinnen und Schüler das sich gegenseitig anregende und herausfordernde Umfeld durch die Zusammenarbeit mit anderen leistungsstarken Lernenden positiv motivierend und leistungssteigernd ist. (s. dazu Abb. 6 und Kap.5) Heterogenität – Diversität Heterogenität anerkennt, dass Menschen sich in Personenmerkmalen wie Denkfähigkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Reizverarbeitung, usw. unterscheiden. In Erweiterung des Heterogenitätskonzepts verweist «Diversität» darauf, dass sich Menschen nicht nur durch genetische Unterschiede sondern auch durch ihre Sozialisation unterscheiden. So sind multikulturelle und soziokulturelle Einflüsse (bildungsnahe und bildungsferne familiale Herkunft) mit unterschiedlichen Wertevorstellungen und Bildungsaspirationen wesentlich mitbeteiligt an der Verschiedenartigkeit von Schülerinnen und Schüler beim Eintritt in die Schule. Im Bildungssystem wurde über Generationen das Bilden homogener Gruppen nach vergleichbarem Entwicklungs- und Leistungsstand angestrebt (Jahrgangsklassen, mehrgliedrige Sekundarschule 1, separative Sonderschulung).Homogen zusammengesetzte Lerngruppen sollten das Unterrichten erleichtern und das Lehren wirksamer gestalten. Solche Scheinhomogenitäten erwiesen sich jedoch als Fiktion; gleichwohl wurde der Unterricht lange auf nicht existente «mittleren Normalschüler» ausgerichtet. Lernende, die dieser Norm nicht entsprachen, liefen Gefahr, zu wenig vom Unterricht profitieren zu können oder gar ausgesondert zu werden. Mit der Pluralisierung der Gesellschaft und zunehmender Sensibilität für Bildungsungerechtigkeit aufgrund zugeschriebener Merkmale wie Geschlecht, Alter und soziale Herkunft erweist sich die Konzeption vermeintlich homogener Lerngruppen als problematisch und nicht mehr haltbar (Stigmatisierung, Etikettierung). Die Gruppierung aufgrund biologischer oder generalisierter Merkmale wirkt sich für das Lernen weniger förderlich aus als erhofft und kann bei Lernenden mit uneinheitlichen Begabungspotenzialen zur Bildungsbenachteiligung führen. Deshalb ist in aufgeklärten Bildungssystemen eine Trendwende hin zur bewussten Akzeptanz heterogen zusammengesetzter Lerngruppen (z.B. Altersdurchmischtes Lernen) zu beobachten (s. Kap. 3.9; 3.10). Hochbegabung Hochbegabung stellt ein hohes Entwicklungspotenzial in einer bestimmten Begabungsdomäne dar. Dabei ist der Begriff problematisch, weil das Attribut „hoch“ in keinem Bereich objektiv quantifizierbar ist. Die international anerkannte Konsens zur Hochbegabung betrachtet diese als: «Möglichkeit zu Hochleistungen, die im Vergleich zu Gleichaltrigen durch Exzellenz, Seltenheit, Produktivität, Demonstrierbarkeit und besonderen Wert auffallen» (Sternberg & Zhang 1995).Die Marland Definition (US Department of Education, 1972) nennt dazu als Fähigkeitsbereiche: Allgemeiner Intellekt, domänenspezifische akademische Fähigkeiten, Kreativität, Führungskompetenz, bildnerische, musische und darstellende Künste sowie Psychomotorik.Die lange Zeit in schulischen Kreisen tradierte Definition „Hochbegabung liegt bei IQ 130 vor“ ist nicht länger haltbar, weil dadurch Hochbegabung auf gezeigte messbare kognitive Teilleistungen reduziert wurde und Hochleistungen in nicht akademischen Domänen ebenso vernachlässigt wurden wie die zur Entwicklung von Hochleistung unabdingbaren weiteren co-kognitiven Personenmerkmale. Viele Hochbegabungen und Hochleistende lassen sich nicht über den IQ messen. Lediglich 15-20 % der Hochleistenden definieren sich über den IQ-Wert (s. Kap. 3.4 ff). Identifikation Das Entdecken von Begabungspotenzialen, Interessen und überdurchschnittlichen Fähigkeiten liegt im Berufsauftrag jeder Lehrperson. In Zusammenarbeit mit Eltern, Erziehungsberechtigten und aufgrund der Beobachtung der Leistungen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler lassen sich überdurchschnittliche Fähigkeiten und Begabungspotenziale weitgehend erkennen. Da die Forschung jedoch zeigt, dass Lehrpersonen Begabungen oft nicht realisieren, verfügen viele Schulen über Lehrpersonen mit einer entsprechenden Zusatzausbildung in Begabungsförderung (Zertifikatslehrgang (CAS) und Weiterbildungsmaster (MAS) zur Integrativen Begabungs- und Begabtenförderung (IBBF). Diese Fachpersonen unterstützen Lehrpersonen und Schulleitungen bei der Identifizierung von besonderen (auch verdeckten) Begabungen bei Schülerinnen und Schülern. Zur Begabungserfassung durch alle am Bildungsprozess Beteiligten existiert für die Hand von Lehrpersonen, Begabungsfachpersonen und Eltern eine Vielzahl von Beobachtungsbögen, Fragebögen und Checklisten, die das Entdecken von Begabungspotenzialen ermöglichen. Eine Sammlung solcher Instrumente findet sich auf www.begabungsförderung.com . In speziellen Fällen (bei Verdacht auf Minderleistung oder Fehlentwicklungen der Begabungsentfaltung) erfolgt die vertiefte Abklärung der psychologischen Hintergründe durch den Schulpsychologen. Dabei achtet eine umfassende Begabungsabklärung in jedem Fall darauf, dass nicht nur intellektuelle Fähigkeiten (IQ) erfasst werden, sondern Potenziale in allen Begabungs- und Bildungsbereichen ebenso wie co-kognitive Voraussetzungen und Einstellungen zur Leistung bzw. Leistungsverweigerung miteinbezogen werden. In Bildungssystemen, in denen durch die Gesetzgebung nach wie vor ein bestimmter IQ als Kriterium für den Zugang zu Fördermassnahmen verlangt wird, liegt die Abklärung entweder beim Schulpsychologen oder bei den Fachpersonen MAS IBB mit anerkannter Zusatzqualifikation zur Begabungsabklärung (s. Kap. 11). Inklusion Inklusion bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler in einer heterogenen Lerngemeinschaft ohne Ausgrenzung und Etikettierung gemeinsam aneinander und voneinander lernen können. Eine Schule der Inklusion ist demnach das Abbild einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass Lern- und spezifische Förderanlässe zeitweise in klassenübergreifenden und ergänzenden Lernformaten stattfinden. Die Auffassung, Inklusion würde das Unterrichten von Lernenden mit unterschiedlichen Bedürfnissen auf den gemeinsamen Klasseunterricht einzugrenzen, ist ein zu kurz greifendes Fehlverständnis des Inklusionsansatzes. Inklusion steht für barrierefreien Unterricht, der allen Lernenden den Zugang zu den Lerninhalten ermöglicht sowie für die Anerkennung verschiedenartiger Förderung durch unterschiedliche Lernformate innerhalb einer Schule der Vielfalt als lernende Gemeinschaft. (s. Kap. 3.9; 3.10; 7) Kompetenzraster In Kompetenzrastern wird konkret festgehalten, welche Kompetenzen die Lernenden in Bezug auf bestimmte Lerninhalte erreichen. Oft wird der erreichte Lernstand nach vier Prädikaten beurteilt (Defizitstufe, Elementare Entwicklungsstufe, Fortgeschrittene Entwicklungsstufe, Exzellenzstufe). Kompetenzraster haben traditioneller Bewertungspraktiken gegenüber den Vorteil, dass ausgewiesen wird, was Schülerinnen und Schüler und auf Sachkriterien bezogen objektiviert konkret können (kriteriale Bezugsnorm). Dadurch ist die Leistungsbewertung kompetenzbezogen und nicht relativiert durch den Bezug auf eine bestimmte soziale Lerngruppe Das Lernen mit Kompetenzrastern ermöglicht, Fortschritte in Lernprozessen in förderdiagnostischem Sinn progressiv auszuweisen (s. Kap. 10.2). Lernlandschaften Lernlandschaften resp. Lernumgebungen ermöglichen den Schülerinnen und Schülern innerhalb bestimmter Themen oder Zeiträume mehr oder weniger leistungsdifferenzierende Lernaufgaben in unterschiedlicher Lernzeit zu bearbeiten. Das selbstorganisierte Lernen in der Lernlandschaft - in Verbindung mit gezielten Inputs und einer personalisierten Lernbegleitung - will individualisiertes Lernen ermöglichen, das sich an den jeweiligen Lernvoraussetzungen und Fähigkeiten der einzelnen Schülerinnen und Schüler orientiert. Es berücksichtigt deren Vorkenntnisse, Zugangsweisen, unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten sowie die individuellen Niveaus der vertiefenden Auseinandersetzung mit den Lerninhalten. Die Organisation der Lernaufgaben erfolgt in der Regel über Wochenpläne, Werkstattunterricht, Leitprogramme oder andere Erweiterte Lernformen. Dabei sind die Lernenden nicht sich selbst überlassen; sondern - falls nötig – in ihren individuellen Lernpfaden begleitet. Für Fragen ist ein Supportsystem vorhanden, das Unterstützung und Hilfeleistung bietet.. Die individuellen Lernwege der Lernenden halten diese fest in ihren persönlichen Portfolios oder Arbeitsplänen, die in der Lernberatung besprochen und bewertet werden (s. Kap. 9). Lerntagebuch/Lernjournal Im Lerntagebuch oder Lernjournal halten die Schülerinnen und Schüler individuelle Zielsetzungen, Lernerfahrungen sowie Schwierigkeiten oder Fragen im Lernprozess oder zu den Lerninhalten (Sinn- und Wertefragen) im Sinn einer Arbeitsrückschau schriftlich fest. Die Lernenden setzen sich mit ihrem eigenen Lernen (Strategien, Widerstände, Erfolgserleben) auseinander (Metakognition). Das Lernjournal stellt die Grundlage für regelmässige Lerndialoge zum eigenen Lernen mit der Lehrperson dar. Im Gegensatz zum Portfolio (Produkte-, Leistungsdarstellung) orientiert sich das Lernjournal an der Person und deren Lernkompetenzen und Lerneinstellungen. Das Lernjournal ist ein sehr persönlicher Bestandteil des Portfolios. Aus diesem Grund ist zu vereinbaren, wer zu welchem Zweck Einblick in das Lernjournal erhält (z.B. Mentoren und Mentorinnen, Klassenlehrperson, Vertrauenslehrpersonen, u.a.) (s. Kap. 12). Mentoren, Mentoring Ein Mentor bzw. eine Mentorin ist eine Fachperson, Experte oder Expertin einer Fachdomäne, die eine Schülerin resp. einen Schüler (Mentee) in dessen Begabungsdomäne oder in einem Projekt unterstützt. Das Ziel ist eine vertiefte Unterstützung und Anregung zur Begabtenförderung über den Unterricht und die Schule hinaus, dort, wo diese dies nicht leisten kann. Mentoren und Mentorinnen sind fachliche und persönliche Vorbilder. Sie fördern die überdurchschnittlichen Begabungen und Interessen ihrer Mentees, helfen ihnen bei der Zielfindung, Orientierung und Prioritätensetzung und korrigieren Fehlentwicklungen und Fehlverständnisse. Sie regen ihre Mentees an und eröffnen ihnen weitere Horizonte. Mentoring ist ein Prozess, in dem Mentoren und Mentorinnen die Entwicklung von Mentees ausserhalb der normalen Unterrichtsbeziehung unterstützen. In der schulischen Begabungsförderung kann sich dies unterschiedlich ausgestalten. Die Mentorin für einen Primarschüler kann etwa eine Lehrperson aus einer höheren Schulstufe mit spezifischer Expertise sein. Mentoren sind oft auch ausserschulische Künstler, Forscherinnen, Handwerker und Berufsleute mit überdurchschnittlichem Engagement und Expertise (auch Senioren). Mentorate werden in der Regel durch die ausgebildete Fachperson der Begabtenförderung der Schule organisiert und (an-)geleitet und setzen schriftliche Vereinbarungen zwischen allen Beteiligten voraus. Mentorate basieren auf Freiwilligkeit, einer positiven Beziehung zwischen Mentor bzw. Mentorin und Mentee, sowie auf einer Vorbildkultur (s. Kap. 13). Minderleistung - Underachievement Minderleistung (engl. Underachievement) liegt vor, wenn Schülerinnen und Schülern ihre Fähigkeiten, nicht in adäquate Leistungen umsetzen können (oder wollen); d.h. wenn Menschen ihre Potenziale nicht als entsprechende Leistungen zu realisieren vermögen. Beispiele sind Schüler und Schülerinnen, die trotz hoher Intelligenz nur mässige oder schlechte Schulleistungen erbringen und an der Schule scheitern oder Lernende, die ihre Fähigkeiten in verschiedenen Begabungsdomänen nicht zeigen können. Bei Verdacht auf Minderleistung kann angezeigt sein, einen Intelligenztest durchzuführen, um eine allfällige Diskrepanz zwischen IQ (als Teilpotenzial) zu den tiefen Schulleistungen festzustellen und damit Fördermassnahmen zu erwirken (s. Kap. 3.8). Multiple Intelligenzen In Erweiterung des traditionellen Intelligenzkonzepts, das sich an kognitiven Leistungen orientiert, hat Gardner (1999) drauf verwiesen, dass sich der Intelligenzbegriff auch über akademische Faktoren (sprachgebunden-mathematisch/logisch) hinaus in weiteren Domänen (körperlich, musisch, ästhetisch, sozial, existenziell, u.a.) manifestieren kann. Auch weitere Konzepte, etwa von Sternberg (1997) mit der Betonung praktischer und sozialer Intelligenz oder Goleman’s (1995) emotionale Intelligenz haben den Horizont der Begabungsförderung darauf hin erweitert, über akademische Intelligenzdefinitionen hinaus Begabungen in den multiplen Begabungsdomänen im Sinn eines breiten Bildungsverständnisses anzuerkennen und zu fördern (s. Kap. 3.3; 3.4. oder www.begabungsförderung.com ). Overexcitability Einige (Hoch-)Begabte weisen eine überdurchschnittlich hohe Sensibilität auf, die sie vieles anders erleben lässt als ihre Altersgenossen und ihr soziales Umfeld. Diese Übersensibilität kann zu Lern- und zu sozialen Behinderungen, Blockaden und einer problematischen Selbstwahrnehmung führen, die darin resultieren kann, dass sie sich zurücknehmen und sich in ihrer Lernumgebung nicht entfalten können (s. Kap. 3.8) Portfolio Portfolios sind die Dokumentation individueller Lernleistungen und Reflexionen. Sie erfüllen dabei verschiedene Funktionen: So können sie den gesamten Lernweg darstellen oder eine Sammlung ausgewählter Meisterstücke sein (Total Talent Portfolio nach Renzulli; «Best-Of-Portfolios»). Darüber hinaus enthalten viele Entwicklungsportfolios ein persönliches Profil der Lernenden (Lernstil, Interessen, Motive, individuelle Stärken und Schwächenprofile), das der Selbstwahrnehmung dient. Ferner beinhalten die Portfolios persönliche Reflexionen (oft in Form eines Lernjournal der Lernenden), in dem diese ihre individuellen Lernwege, Motivation, Widerstände, Lerneinstellungen und Fragen zur Diskussion im persönlichen Lerndialog/Lerncoaching festhalten. Individuelle Lernvereinbarungen (Vereinbarungskultur, Contracting) nehmen eine Steuerungsfunktion für das weiterführende Lernen und angestrebte nächste Ziele ein. Während Leistungsdokumentation im Portfolioteil bewertet werden kann, dient das Lernjournal resp. das Lerntagebuch der Entwicklung der Persönlichkeit. Als Grundlage vertraulicher personalisierter Lernberatung steht das Lernjournal in Widerspruch zur fachlichen Leistungsbewertung (und wird in der Regel nicht bewertet; Vertrauenskultur). Das Portfolio dokumentiert die individuelle Geschichte und Entwicklung des Lernens. Es ist eine begründete, exemplarische und kontinuierlich zusammengestellte Sammlung von Arbeiten in verschiedensten Stadien und von Reflexionen, Vereinbarungen und Beurteilungen von Lehrenden und Lernenden. Mithilfe des Portfolios setzen sich die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Lernen auseinander, stärken ihr Selbstbewusstsein und ihre Lernmotivation (s. Kap. 5.3.4; 12.5). Pull-Out «Pull-Out» sind Förderangebote, die zeitgleich neben dem Regelunterricht als Begabtenateliers stattfinden. Sie schaffen über den regulären Lehrplan hinaus eine Lernsituation in der anspruchsvolle Methoden des forschenden Lernens, „higher order thinking skills“ (höher stehende Denkfertigkeiten) und kreative Produktivität entwickelt werden und Lernende sich in ihrer Begabungsdomäne vertieft entfalten können. Die Schülerinnen und Schüler mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten und Interessen werden dabei von einer speziell ausgebildeten Fachperson der Begabtenförderung angeleitet und begleitet. Die Inhalte der Pull-Out- Programme gehen über diejenigen des regulären Lehrplans hinaus; sie orientieren sich an den individuellen Begabungsprofilen der Lernenden. Pull-Out-Programme sind klassenübergreifend; sie können (je nach lokaler Situation) schulhaus- oder schulstufenübergreifend organisiert werden. (s. Kap. 5.2.2.) Ressourcenzimmer Im Ressourcenzimmer stehen Lernmaterialien zur spezifischen Begabtenförderung und vertieften Auseinandersetzung sowie Medien zur erweiterten Informationsbeschaffung zur Verfügung. Organisierte Ressourcenzimmer sind eine rein schweizerische Entwicklung. In anderen Bildungssystemen erfüllen diese Funktionen offen zugängliche und begleitete Schulbibliotheken und Mediotheken mit Arbeitsplätzen, Stillarbeitsräume zur individuellen Arbeit der Lernenden, offene Werkstätten sowie durch Fachpersonen begleitete Ateliers und Forscherräume. Schulischer Misfit Als schulischer Misfit wird verstanden, wenn die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Schülerinnen oder Schülern nicht in «Passung» stehen zur Lernsituation oder zu den von ihnen verlangten kognitiven oder sozialen Leistungen. «Passung» wäre die Übereinstimmung der Möglichkeiten oder Bedürfnissen des Kindes oder Jugendlichen mit seiner Umwelt, den angebotenen Lerngelegenheiten und den angestrebten Entwicklungsschritten, Kompetenzen oder Verhaltensweisen. Misfit kann unterschieden werden in Internen Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwischen verschiedenen Entwicklungsmerkmalen des Kindes; z.B. Misfit zwischen kognitiver und sozialer Entwicklung Situativen Misfit: mangelnde Übereinstimmung zwischen Entwicklungsmerkmalen oder Potenzialen des Kindes und Merkmalen resp. Ansprüchen der sozialen Umwelt); z.B. schulische Über- oder Unterforderung Externen oder systemischen Misfit: Mangelnde Übereinstimmung zwischen verschiedenen Umweltmerkmalen; z.B: Verlangte Selbständigkeit bei gleichzeitiger Erwartung nach Anpassung; individuelle Lernprozesse bei gleichgeschalteter Leistungskontrolle, usw. Misfit kann zu psychosomatischen Symptomen, Entwicklungsbeeinträchtigungen und/oder Verhaltensauffälligkeiten führen (s. Kap. 3.8; 4). Selbstgesteuertes Lernen - Selbstorganisiertes Lernen Selbstgesteuertes Lernen steht als Begriff für einen Wandel im Unterricht von einer vorwiegenden Lehrplanorientierung zur Personenorientierung, der für die Begabungsförderung von grundlegender Bedeutung ist. Selbstgesteuertes Lernen als umfassender Begriff beinhaltet, dass Lernende über Ziele und Inhalte, über Formen und Wege, Ergebnisse und Zeiten sowie die Orte ihres Lernens so weit wie möglich und verantwortbar selbst entscheiden resp. mit-entscheiden (Freiarbeiten, Projektarbeiten). Dabei ist schulisches selbstgesteuertes Lernen weder beliebig oder steuerungsfrei, sondern stets an Bildungsabsichten, Lehrplanvorgaben oder Lernarrangements gebunden. Innerhalb dieser sollen die Lernenden aber im Sinn der Auswahl und interessengeleiteten Lernens; individueller Schwerpunktsetzung, dem individueller Grad an Vertiefung je nach Fähigkeiten, der benötigten Lernzeit sowie den Formen der Bearbeitung (Methoden, Lernstil und Sozialform) innerhalb einer Lerninszenierung weitgehend eigene Entscheide treffen und verantworten können. Selbstgesteuertes Lernen trägt den Erkenntnissen der Selbstwirksamkeit und der Motivationspsychologie Rechnung. Darüber hinaus sollen Schülerinnen und Schüler lernen, selber Entscheide zu treffen, Positionen zu ergreifen und zu begründen und ihr Lernen mit zu verantworten (Kompetenz zu Lebenslangem Lernen). Von selbstorganisiertem Lernen (SOL) wird gesprochen, wenn Lernende bei vorgegebenen Inhalten und Zielen ihr eigenes Lernen selbst organisieren und Entscheidungen über die Art und Weise ihrer Lernorganisation fällen. Selbstgesteuertes und Selbstorganisiertes Lernen verlangen nach individueller Lerndokumentation (Portfolio, Lernjournal) und personalisierter Lernbegleitung (s. Kap. 9; 12, 13). Taxonomien Als Taxonomien werden qualitative Gütestufen in Lernprozessen von der Anbahnung bis zur Exzellenz resp. Verinnerlichung bezeichnet. Während Auswendiglernen und Reproduktion von Begriffen eine noch eher banale Denkstufe beinhalten, erfordern Evaluation oder kreative Problemlösungen höhere kognitive Prozesse. Ebenso: Während Nachspielen auf dem Instrument und das Einhalten des Takts eher basale Stufen von Musikalität darstellen, finden sich Interaktion in einem Ensemble, Interpretation und persönlicher musikalischer Ausdruck des Virtuosen auf hohen Stufen der musikalischen Taxonomie.Taxonomiemodelle existieren in den kognitiven, psychomotorischen, affektiven und moral-ethischen Bildungsbereichen (s. dazu Kap. 8.5). Talent Im deutschsprachigen Begabungsdiskurs werden die beiden Begriffe „Begabung“ und „Talent“ oft synonym benutzt. Etwas differenzierter erschliesst sich ein feiner Unterschied aus der englischsprachigen Formulierung «gifted education» (Förderung von Begabten) und «talent development» (Entwicklung von Begabungen). Im schulischen Umfeld wird der Begriff «Talent» eher selten gebraucht. Demgegenüber nutzt die Berufsbildung vorwiegend diesen Begriff im dem Sinn, dass «junge Talente» gefördert und deren Begabungspotenziale verwirklicht werden sollen. Der Begriff «Talent» gelangt auch in Begabungskonzepten nur bei Gagné (1991) zur Anwendung. Er geht davon aus, dass gegebene Begabungen durch Förderprozesse in Talente (transformiert werden. Mit dieser Festlegung steht er aber alleine da. Weil sowohl die Begriffe „Begabung“ als auch „Talent“ recht unspezifisch benutzt werden, wird die Unterscheidung in die Begriffe „Begabungspotenziale“ (für die förderbaren Voraussetzungen der Lernenden) und „Hochleistung“ (für realisierte Leistung) in der Begabungsdiskussion vorgeschlagen. Twice Exceptional Mit Twice Exceptional wird das Phänomen bezeichnet, dass Menschen mit (Hoch-) Begabungen gleichzeitig Persönlichkeitsstörungen, Lern- oder Verhaltensauffälligkeiten aufweisen können. Der (hoch-)begabte ADHS-ler; der (hoch-)begabte Tüftler mit sozialen Schwierigkeiten; die neurotische Künstlerin; der (hoch-)begabte Autist; die blinde (Hoch-)begabte (s. Kap. 3.8; 11.2). Zone nächster Entwicklung Dem Prinzip der Anschlussfähigkeit an das individuelle Vorwissen und dem damit verbundenen konstruktivistischen Lernverständnis folgend, schliesst das Erlernen von Neuem jeweils an bisherige Kenntnisse (Präkonzepte) und die vorangegangene Lernbiographie an. Diese sogenannte «Zone of proximal development» oder «Zone nächster Entwicklung» ist - je nach Bildungshintergrund und Vorerfahrungen - bei jedem Lernenden unterschiedlich. Die Lernpsychologie berücksichtigt dies einerseits durch das Erfassen des jeweiligen Vorwissens bei Lernenden, damit diese im nachfolgenden Lernprozess an ihr Vorwissen andocken können und andererseits durch differenzierende Lernarrangements und eine individualisierende Lernbegleitung und Leistungsbewertung (s. Kap. 8.2.3; 9). Literaturnachweis Aus: Müller-Oppliger, Victor (2017). Horizonte und Perspektiven der Begabungsförderung. In: Begabungsförderung steigt auf. Begabungsförderung auf der Sekundarstufe I. Hrsg.: Stiftung für hochbegabte Kinder & Mercator Schweiz. Bern: hep-verlag ag.
- Drehtürmodell (Revolving Door Model) – ein individuelles und flexibles Begabungsförderkonzept
«Es liegt nicht an den Kindern, den Normen der Schule zu entsprechen; es ist Aufgabe der Schule, der Verschiedenheit der Kinder Rechnung zu tragen.» (C. Freinet) Unter dieses Motto könnte das aussergewöhnlich flexibilierende «Drehtür Modell» zur Förderung von begabten Schülern, die den regulären Unterricht zeitweilig verlassen können, bezeichnet werden. Der ursprünglich von J. Renzulli eingeführte Begriff des «Revolving Door Model» wird als Bezeichnung für eine flexible Form der Lerngestaltung verwendet, bei der Schüler/innen die Organisation der von ihnen zu bewältigenden Lernaufgaben (begrenzt) in Eigenverantwortung übernehmen. Aufgrund der Feststellung einer besonderen Begabung wird Schülerinnen/Schülern erlaubt, partiell den regulären Unterricht zu ersetzen bzw. sich für eine begrenzte Zeit abzumelden, um sich z.B. einer individuellen Aufgabe widmen zu können, mit einer Mentorin/einem Mentoren zu arbeiten oder Kurse in einer höheren Stufe oder ausserhalb der Schule zu besuchen. Auch selbstständiges Arbeiten in einem individuellen Projekt oder an eine speziellen Aufgabe für eine bestimmte Zeit kann (wie ein Wahlpflichtbereich) vereinbart werden. Zwischen der Lehrerin/dem Lehrer, deren/dessen Unterricht wegfällt, der Schülerin/dem Schüler selbst und der/dem das Begabtenprogramm verantworteten Lernbegleiter/in – wird eine Art Lernvertrag abgeschlossen, der Folgendes enthalten sollte: Nennung der speziellen Aufgabe und (wenn so organisiert) der begleitenden Lehrperson, Erklärung der Schülerin/des Schülers bezüglich ihrer/seiner Verantwortung für die Beherrschung des Lehrstoffs der regulären Unterrichtsstunden, Art des Nachweises der erbrachten Leistung aus dem individuellen Arbeitsauftrag oder des Rückflusses der Ergebnisse in die Klasse oder Schule (Präsentation u.a.) Die Bezeichnung «Drehtür-Modell» wurde gewählt, weil der Schüler/die Schülerin zwischen normalem Unterricht und individueller Förderung wechseln kann. Das Modell bietet Platz für vielfältige individuelle und kreative Gestaltungsmöglichkeiten und entspricht in besonderem Mass dem dynamischen Verlauf von Begabungen. Gängig sind zwei Formen der Ausgestaltung in verschiedenen Schulen und Schulsystemen: 1. Drehtürmodell im Sinne der Akzeleration Der Schüler nimmt in einem Fach, in dem er sehr gute Leistungen zeigt, am Fachunterricht einer höheren Klasse teil. Dazu sind eine geeignete Klasse und das Einverständnis der betroffenen Lehrpersonen erforderlich. Der/die Schüler/in muss diese Förderung wollen und sich einverstanden erklären, die Inhalte der in der eigenen Klasse weggelassenen Lektionen nachzuarbeiten, bzw. sich die Hausaufgaben zu besorgen und diese zu erledigen. Die Eltern müssen sich schriftlich einverstanden erklären. Der Schüler erhält über die erfolgreiche Teilnahme eine Bescheinigung im Zeugnis. Wenn er die Lernkontrollen in der höheren Klasse erfolgreich abgeschlossen hat, kann er auf Wunsch in diesem Fach die Jahresbewertung der höheren Klasse erhalten und dieses Fach in ein Jahr früher abschließen. In höheren Klassen ist möglich, dass Jugendlichen erlaubt wird, an Seminaren der Universität oder an ausserschulischen Förderprogrammen teilzunehmen. 2. Drehtürmodell im Sinne des Enrichment In der Enrichment-Form wird leistungsstarken und motivierten Schüler/innen erlaubt, anstelle eines bestimmten Fachunterrichts an einem eigenen Projekt (zielgerichtete Freiarbeit) zu arbeiten. Der Schüler arbeitet dabei mehr oder weniger selbstständig und von einer Begabungsfachperson der Schüler die nötigen methodischen Fähigkeiten aufbaut und organisiert – falls angezeigt –entsprechende Kontakte zu ausserschulischen Fachpersonen für die Erreichung der Ziele. Zum Abschluss des Projekts werden die Ergebnisse und der Lernverlauf in geeigneter Weise nachbesprochen, reflektiert und bekannt gemacht (Präsentation). Das Modell lässt sich in 5 Schritten darstellen: Schritt 1 Auswahl der Schüler , die besonders intelligent, kreativ oder leistungsfähig sind und häufig im Unterricht unterfordert scheinen. Schritt 2 Erarbeitung von individuellen Möglichkeiten für jeden Schüler, den Regelunterricht zu straffen z. B. durch Weglassen von Wiederholungsstunden in bestimmten Fächern, durch Vorauslernen in den Ferien oder am Wochenende, usw.Aber: Verpflichtung zur Nachbereitung und zur Teilnahme an den Klassenarbeiten bzw. Klausuren. Das „Normal-Programm“ (Basic Needs) soll sichergestellt sein. Schritt 3 Wahl eines Mentors/einer Mentorin in Absprache mit den Schülerinnen, Abstimmung des Themas / des Projektes mit dem Mentor/der Mentorin: z.B. weiterer Kurs; Projekt ... mit dem Ziel ..., Belegung der Vorlesung ... an der ..., Teilnahme am Wettbewerb ..., ... Schritt 4 Der Schüler/Die Schülerin führt ein Lerntagebuch , in dem festgehalten sind: Das Thema, die Ziele, die gewünschte Form der Ergebnisse Die Zeitplanung Die regulären Unterrichtsstunden, die versäumt wurden und die selbständigen Unterrichtsgänge Am Ende jeder Woche ein kurzer Zwischenbericht über erledigte Tätigkeit, neue Ideen,... Das Lerntagebuch kann zum Portfolio ausgebaut werden. Schritt 5 Der Schüler bringt die Ergebnisse seines Projektes in geeigneter Weise in den Unterricht der eigenen Klasse oder in einer anderen Lerngruppe ein oder präsentiert sie in angemessener Weise der Schulöffentlichkeit. Wichtig ist, dass die Schritte 1 und 2 mit grosser Sorgfalt ausgeführt werden, um geeignete Schüler auszuwählen und die Programme individuell anzupassen. Für den Schritt 1 ist es wichtig, geeignete Möglichkeiten zu schaffen, begabte Schüler herauszufinden. Dies sind zum Beispiel: Beobachtung der Schüler/innen im Unterricht Gespräche mit den Lehrer/innen über leistungsfähige Schüler «Scannen“ in Zeugniskonferenzen Gespräche mit Eltern Teilnahme der Schüler an AGs und Ergebnisse von Wettbewerben Ergebnis von (schul-)psychologischen Tests Screeningverfahren der Schule Aber auch «Selbstnomination» durch die Schüler/innen, wenn sie bereit sind, Aussergewöhnliches zu leisten oder zu versuchen. Schritt 4 erlaubt es dem Schüler, seine eigene «Lerngeschichte» oder «Schulbiographie» schreiben, aufgrund der Lernberatungsgespräche mit Lernenden und Eltern aufbauen. Wir machen damit einen entscheidenden Schritt hin zu selbst reflektierendem, selbst bewusstem und selbst verantwortlichem Lernen. Für spätere Schuljahre lernen die Jugendlichen damit, ein Leistungsportfolio zu gestalten, das sie z.B. bei der Lehrstellenbewerbung präsentieren können. Einem zukünftigen Arbeitgeber zeigt dies, dass der Schüler bereits während seiner Schulzeit Interessen und Fähigkeiten entwickelt hat, die über den normalen Unterricht mit seinen Pflichtbelegungen hinausgehen. Schritt 5 stärkt frühzeitig die soziale Kompetenz der Schülerin/des Scjhülers, indem er seine Ergebnisse einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellt und mit ihr in einen Diskussionsprozess eintritt. In diesem Diskussionsprozess entstehen neue Kontakte und der Schüler erhält ein Feedback. Die verantwortliche Person für das Begabungsförderprogramm leitet und verantwortet den den Ablauf des Drehtür-Modells sowohl organisatorisch als auch inhaltlich. Sie leitet die Vereinbarungen mit den Schüler/innen an und stellt die Koordination zwischen dem Schüler/der Schülerin, deren Eltern und den Klassen-, und Fachlehrpersonen sowie allfälligen Personen der ausserschulischen Begabtenförderung sicher. Weil der/die Schüler/in in Absprache mit den Lehrpersonen zwischen dem regulären Unterricht und der individuellen Förderung durch Enrichmentprogramm wechseln kann, spricht man vom Drehtür- Modell (Revolving Door Model). Das herausragende Merkmal des Drehtürmodells – das in verschiedenen Interpretationen in Vergessenheit geraten oder unterschlagen wird - bleibt die schuladministrative und schulorganisatorische Flexibilität, dass einerseits Lernende in sogenannten «sensiblen Phasen» die Gelegenheit erhalten, an speziellen Förderprogrammen teilzunehmen. Andererseits bleiben Lernende, die als besonders leistungsstark erkannt sind, nicht zwangsläufig und ohne Überprüfung wirklich erbrachter Leistung in Förderprogrammen stecken, - auch wenn sie momentan den Willen zu speziellem Einsatz nicht aufbringen. «Einmal hochbegabt – immer hochbegabt»! berücksichtigt nicht, dass Begabungen dynamisch, interessensgebunden und an den Willen und die eigene Bereitschaft des Einzelnen gebunden sind. Literaturnachweis: Aus: Müller-Oppliger, V. (2017). Horizonte und Perspektiven der Begabungsförderung . In: Begabungsförderung steigt auf. Begabungsförderung auf der Sekundarstufe I. Hrsg.: Stiftung für hochbegabte Kinder & Mercator Schweiz. Bern: hep-verlag ag.
- Projektunterricht in der Begabungs- und Begabtenförderung mit der «IIM»-Methode
Die «IIM»-Methode (Independent Investigation Method oder Individuelle Interessen Methode) wurde als 7-Schritt-Methode von Cindy Nottage und Virginia Morse in den 80er Jahren in den USA entwickelt (vgl. Nottage/Morse, 2000) und wurde mittlerweile durch einen zusätzlichen Schritt – die Reflexion – ergänzt. Mittels IIM können sich Schülerinnen und Schüler grundlegende Strategien aneignen, um ein eigenes Thema zielgerichtet und selbstständig zu erforschen. «Viele Menschen haben sich schon einmal intensiv für irgendetwas interessiert, das sie weiterverfolgen wollten. Oft ist es dann notwendig, gewisse Fertigkeiten zu entwickeln, die den Umgang mit dem betreffenden Thema erst ermöglichen.» (Renzulli / Reis / Stedtnitz (2001, S. 97). Im Sinne des Zitates von Renzulli, Reis und Stedtnitz entwickelt und fördert die IIM-Methode nicht nur das aktiv-forschende Lernen, sondern auch überfachliche Kompetenzen, Methodenkompetenzen sowie metakognitive Fähigkeiten wie die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Selbstreflexion. Darüber hinaus sind neben kognitiven Fähigkeiten auch die Aufgabenverpflichtung und Kreativität gefordert. Unterstützt durch die empathische, professionelle Lernberatung und -begleitung in der Zone der nächsten Entwicklung (Vygotsky 1978) bietet die IIM-Methode im Sinne von Renzullis Drei-Ringe-Modell ein perfektes «Gefäss», um kognitives Potenzial in entsprechende Leistung zu transferieren und einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Die 8 Schritte der IIM-Methode Thema suchen Das Thema kann ein gemeinsames Wunschthema in der Klasse sein – oder ein individuelles Thema, das zum aktiven Forschen einlädt. Ziele setzen Forscherfragen werden definiert und die Ziele des Projektes definiert. Daraus entsteht ein konkreter «Fahrplan». Thema erforschen Antworten zu den Forscherfragen werden in allen zugänglichen Quellen recherchiert und in Notizen festgehalten. Dabei gilt: eine Notiz pro Linie. Notizen ordnen Zu den Notizen werden Oberbegriffe/Titel gesucht. Dadurch, dass nur eine Notiz pro Linie geschrieben wurde, lassen sich die Zeilen ausschneiden und den entsprechenden Oberbegriffen zuordnen. So entstehen aus dem Notizen-Chaos strukturierte Notizen. Ziele überprüfen Die Erreichung der im Schritt 2 definierten Ziele wird überprüft. Die Schülerin oder der Schüler gibt sich selber ein kritisches Feedback in schriftlicher Form. Dadurch wird die Einschätzung der eigenen Leistung geschult. Produkt erarbeiten E in Produkt wird erarbeitet, das zeigt, was neu gelernt wurde. Die Gestaltung und Umsetzung sind frei, d.h. das Produkt kann zum Beispiel technischer, gestalterischer, musikalischer oder schriftlicher Natur sein. Produktpräsentation D as erarbeitete Produkt wird in einer vorbereiteten, spannenden Vorstellung dem Publikum präsentiert. Das kann zum Beispiel die Klasse sein, den Lernenden im Schulhaus, den Eltern. Reflexion Mit dem Abschluss des Projektes erfolgt der Rückblick in Form einer Selbst- und Lernreflexion. Gefühle, Wissenszuwachs, Schwierigkeiten, Hemmnisse, überfachliche Kompetenzen, Selbstkompetenzen werden reflektiert und schriftlich festgehalten. Dadurch werden die metakognitiven Fähigkeiten aufgebaut und trainiert. Materialien zur IIM-Methode Einführung Projektarbeit: Interessen- und Fähigkeiten geleitet Schritt 8: Die Reflexion Weiterführende Informationen, Kurse & Workshops IIM Research, Doris Müller-Hostettler (MAS IBBF FHNW) iimresearch.ch
- Das «Schoolwide Enrichment Model» (SEM): Vier Jahrzehnte Forschung zur Entwicklung von Talenten und kreativer Produktivität
Sally M. Reis; Joseph S. Renzulli; Victor Müller-Oppliger 1. Einleitung In diesem Kapitel beschreiben wir das «Schoolwide Enrichment Model» (SEM) sowie die Forschungsergebnisse, die seine Wirksamkeit über die vergangenen vier Jahrzehnte belegen. Dazu wird zu Beginn das «Drei-Ringe-Konzept» von Renzulli ausgeführt, auf dem das «Schoolwide Enrichment Model» (SEM) basiert. 2. Die Drei-Ringe-Konzeption der Begabung Das durch jahrzehntelange Forschung (Renzulli 1978, 1986, 2005) gestützte «Drei-Ringe-Konzept» der Begabung wurde explizit so konzipiert, dass es sowohl die Entwicklung akademischer als auch kreativ-produktiv praktischer Ausprägungen von Begabungen (Renzulli/Reis 1994, 1997, 2014) entwickelt, da beide bedeutsam sind und speziell gefördert werden sollen, zumal sie oft miteinander interagieren. Das Konzept der «Drei Ringe» beschreibt drei ineinandergreifende Cluster von Begabungsbedingungen: Überdurchschnittliche Fähigkeiten (auch solche, die nicht notwendigerweise in Leistungs- oder Kognitionstest gemessen werden können), Aufgabenverpflichtung (Task Commitment) und Kreativität sowie die Beziehung der drei Ringe zu allgemeiner und spezifischer (Hoch-)Leistung. Bedeutsam ist der Hintergrund des Modells, der sogenannte «Houndstooth-Background», Persönlichkeits- und Umweltfaktoren, mit denen die drei Merkmalsgruppen der Ringe interagieren, auf denen sie aufbauen und mit denen sie untrennbar in Verbindung stehen. Der vielleicht auffälligste Aspekt dieser Theorie ist, dass die Interaktion zwischen den drei Merkmals-Clustern die Voraussetzung für kreative Produktionsprozesse und (Hoch-) Leistung in bestimmten Leistungsdomänen ist. Dabei treten die drei Merkmalskomplexe in unterschiedlicher Ausprägung - bei bestimmten Menschen, zu bestimmten Zeiten und unter bestimmten Umständen - auf. Das nachfolgend ausgeführte «Enrichment Triad Model» (Renzulli 1977/1988; Reis/Renzulli 2003;) gilt als dazugehörige Lerntheorie. Sie schafft das entsprechende pädagogische Umfeld als Voraussetzung für eine sich gegenseitig stimulierende Interaktion zwischen den drei Ringen auf dem Hintergrund personaler und sozialer Gegebenheiten. Überdurchschnittliche Fähigkeiten umfassen sowohl allgemeine kognitive Aspekte (z. B. verbales und numerisches Denken, räumliche Beziehungen, Gedächtnis) als auch Potenziale in spezifischen Leistungsdomänen (z. B. Chemie, Ballett, Komponieren von Musik, experimentelles Design). Dies ist der konstanteste der Ringe; die Leistung eines Lernenden innerhalb dieser Parameter ist am wenigsten variabel, da sie am engsten mit stabilen kognitiv/intellektuellen Merkmalen verknüpft ist. Der Grund, diesen Ring als «überdurchschnittliche Fähigkeiten» zu bezeichnen (im Gegensatz zu etwa «den besten 5%»), liegt in Forschungsergebnissen, die darauf hinweisen, dass hohe Leistungen – ab einer bestimmten Stufe kognitiver Fähigkeiten - weniger von in Leistungs- oder Intelligenztests gemessenen Fähigkeiten (IQ) und Prozenträngen abhängt als von weiteren persönlichen und dispositionalen Faktoren wie Engagement und Kreativität (Renzulli 1978, 1986, 2005). Damit wird auf die begrenzte Aussagekraft von Intelligenz-, Eignungs- und Leistungstests verwiesen, mit denen Kandidat/innen oft für «Programme der Begabungsförderung» ausgewählt werden. Task Commitment stellt eine Gruppe von Personenmerkmalen dar, die konsistent bei kreativen und produktiven Menschen zu finden sind (z. B. Ausdauer, Entschlossenheit, Willenskraft, positive Energie, Erfolgszuversicht). Sie kann als fokussierte und umgesetzte Ausdrucksform von Motivation betrachtet werden – eine Energie, die längerfristig zur Lösung eines bestimmten Problems oder Vertiefung eines Leistungsbereichs eingesetzt wird. Die Begründung dieser Merkmalsgruppe ergibt sich aufgrund unzähliger Forschungsergebnisse, und zahlreichen autobiografischen Aufzeichnungen kreative-produktiv hochleistender Menschen. Einfach ausgedrückt, eine der Hauptvoraussetzungen für den Erfolg von Personen, die in ihren Leistungsbereichen bedeutsame Beiträge leisten, ist ihre Fähigkeit, sich über einen längeren Zeitraum in ein Problem oder eine Domäne zu vertiefen und selbst angesichts von Hindernissen, die für andere hemmend sind, durchzuhalten. Kreativität ist die Gruppe von Eigenschaften, die Neugier, Originalität, Einfallsreichtum und auch die Bereitschaft, Konventionen und Traditionen in Frage zu stellen, umfasst. So gibt es im Laufe der Geschichte zahlreiche Wissenschaftler/innen und/oder Persönlichkeiten, deren herausragende Arbeiten und Leistungen in der Wissenschaftsgemeinschaft und Öffentlichkeit überdauernd sind, die aufgrund ihrer Kreativität und disruptiven Denkens wissenschaftliche Fragen auf neue Art und Weise erfassten und anders als gewohnt analysierten oder bearbeiteten, um so zu neuen Lösungen beizutragen. Die Drei-Ringe-Konzeption basiert auf der Überlappung und Interaktion innerhalb und zwischen den drei Merkmalsgruppen zur Entwicklung und Umsetzung begabter Verhaltensweisen. Begabung wird nicht als unveränderbarer Seins-Zustand im Sinn von «du hast es oder du hast es nicht» betrachtet, sondern als ein sich entwickelndes «Set» von Potenzialen und Verhaltensweisen, die auf Problemsituationen und Herausforderungen angewendet werden können. Dabei entstehen unterschiedliche Ausprägungen begabten Verhaltens bei bestimmten Menschen, zu bestimmten Zeiten und unter bestimmten Umständen. Deshalb wird eine wichtige Rolle von Schule und Lehrpersonen darin gesehen, jungen Menschen Möglichkeiten, Ressourcen und Ermutigungen zu verschaffen, kreative Ideen und Problemlöseverhalten zu entfalten und Fähigkeiten zu deren Umsetzung zu entwickeln. Für Kinder und Jugendliche mit überdurchschnittlichen Begabungspotenzialen ist wichtig, die Fähigkeiten der Kreativität und Aufgabenverpflichtung (task commitment) zu fördern und die drei Ringe so zu aktivieren, dass sich begabte Verhaltensweisen ausbilden können. Das Konzept ist grundle- gend für das «Schoolwide Enrichment» Förderprogramm und das «Renzulli Identification System for Gifted Program Services». 3. Das Renzulli Identification System for Gifted Program Services Das Identifikationssystem RIS/GPS (Renzulli/Reis 2012) baut auf den Drei-Ringen auf und versucht, Schüler/innen und Studierende mit Potenzialen (auch verdeckten) zu erkennen. Es ermöglicht, Schüler/innen zu identifizieren, die von zusätzlicher Förderung akademischer oder praktischer Fähigkeiten profitieren würden und sie durch ein integriertes Kontinuum begabungsfördernder Aktivitäten zu motivieren. Wesentlich dabei ist die Organisation von «Talentpools» für Lernende, die sowohl nach Test- als auch nach Nicht-Test-Kriterien identifiziert werden. Das System umfasst einerseits Schüler/innen, die in traditioneller schulischer Leistungsbeurteilung hohe Punktzahlen oder Leistungen erzielen. Es lässt andererseits aber auch Raum für solche, die ihr Potenzial auf andere Weise anzeigen oder die zwar ein hohes akademisches oder domänenspezifisches Potenzial haben, in der Schule aber dennoch nicht erfolgreich sind. In Schulen, die dieses kombinierte System der Zulassung aufgrund gezeigter Leistungen mit dem offenen Zugang aufgrund von Leistungshinweisen einsetzen, attestieren Lernende, Eltern und Lehrpersonen der Erkennung von Begabungspotenzialen eine hohe Glaubwürdigkeit und nachträgliche Bestätigung. Viele Probleme werden beseitigt, indem die Förderangebote sowohl Schüler/innen der obersten Perzentilwerte (die normalerweise zu Programmen zugelassen sind) als auch Kindern und Jugendlichen, die Hinweise auf besondere Potenziale zeigen, (die sich nicht in Schulleistungen oder Test-Kriterien zeigen), offen stehen. Das Modell tritt damit der gerechtfertigten Kritik oft fehlerhafter und eingeengter Identifizierung entgegen, verdeckte Ressourcen bei Kindern und Jugendlichen, die spezielle Unterstützung benötigten, nur ungenügend wahrzunehmen. 4. Talententwicklung in unterschiedlichen Schulen Seit vier Jahrzehnten fasziniert die Talenterkennung und -entwicklung in allen Begabungsdomänen das Team des «Renzulli Center for Creativity, Gifted Education, and Talent Development» der «University of Connecticut». Wie kommt es, dass extrem kluge Schüler/innen die Mittelschule abbrechen und Potenziale nicht umsetzen können, während andere reüssieren? Warum zeigen einige äußerst talentierte Menschen in Bereichen, in denen sie als kleine Kinder vielversprechend waren, später nur durchschnittliche Leistungen? Wie bedeutsam sind (zusätzlich zu Talent) co-kognitive Personenmerkmale (Renzulli 2002)? In über 40-jähriger Forschung mit unzähligen Feldversuchen wurde das «Schoolwide Enrichment Triad Model» entwickelt und optimiert. Dabei bestätigt sich, dass kreative und produktive Lernerfahrungen von Kindern und Jugendlichen, dazu führen, dass diese ihre Fähigkeiten oft auch im späteren Leben einsetzen. Schüler/innen, welche die besondere Intensität kreativ produktiver Leistung und Anerkennung in der Grund- und Sekundarschule oder im College erlebt haben, suchen oft auch später die Herausforderung, unabhängig davon, welche Berufsrichtung oder welche Karriere sie einschlagen. Das «Schoolwide Enrichment Model» (SEM: Renzulli & Reis 1985, 1997, 2014) kombiniert die früheren Konzepte der «Enrichment Triad» und der «Revolving Door Identification». Es wird weltweit in Schulen umgesetzt, und umfangreiche Studien zeigen die positive Wirksamkeit des Modells, das von Van Tassel-Baska und Brown (2007) als Megamodell der Begabungs- und Begabtenforschung bezeichnet wurde. Unumstritten ist, dass das Modell leistungsstarke Schüler/innen in unterschiedlichsten Bildungskontexten effektiv unterstützt und auch in Schulen mit ethnischen und sozioökonomisch heterogenen Bevölkerungsgruppen und mit unter- schiedlichsten Curricula und Anspruchsniveaus erfolgreich ist. (Renzulli/Reis 1994, 2003). 5. The Schoolwide Enrichment Model (SEM) Das «Schoolwide Enrichment Model» (SEM) wurde aufgrund fortgesetzter Forschung und Evaluationen kontinuierlich weiterentwickelt (Renzulli/Reis 1994, 2014; Reis/Renzulli 2014). Es kombiniert die «Enrichment-Triade» (Renzulli 1977) mit der flexiblen Identifizierung hochbegabter Schüler/innen. Das Modell geht davon aus, dass Begabungsförderung in den drei Lernebenen «Reguläre Klasse», «Enrichment Clusters/Pullout-Programm» und «Special Services» stattfindet. Ausgegangen wird von einem «Talentreservoir» von 15 bis 20 % aller Schüler/innen mit überdurchschnittlichen Potenzialen (auch in Teilleistungsbereichen), die durch ein mehrperspektivisches Identifikationsverfahrens ermittelt werden. Dieses beinhaltet Leistungstests ebenso wie Lehrernomination, Einschätzung von Kreativitätspotenzial und Engagement, aber auch alternative Zugänge (Selbstnominierung, Elternnominierung). Das SEM wird in den Vereinigten Staaten in über 4’000 verschieden grossen Schulen mit unterschiedlichen sozioökonomischen Niveaus der Lernenden und verschiedenen Organisationsstrukturen durchgeführt; durchgängig lassen sich positive Ergebnisse auf die Begabungsentwicklung der Lernenden ausweisen (Renzulli/Reis 1994; Reis/Renzulli 2003). Das Modell erfährt auch weltweite Anerkennung und Nachahmung, z, B. in Europa mit SEM-Schulen in Deutschland, Italien, Österreich, Schweiz und Spanien. Die meisten SEM-Schulen Europas sind in der Schweiz zu finden. Seit 2003 stehen das «Renzulli Center for Creativity, Gifted Education, and Talent Development» der University of Connecticut und das «Swiss Talent Center» der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz in enger Zusammenarbeit in Forschung, Entwicklung und mit dem Masterprogramm für «Integrative Begabungs- und Begabtenförderung». In den Zertifikats- und Masterstudien der PH Nordwestschweiz haben mehrere hundert Lehrpersonen das SEM kennengelernt und Kompetenzen erworben, es in ihren Schulen (auf allen Schulstufen) professionell umzusetzen. Dabei werden drei Aktionsebenen der Begabungsförderung definiert: «Begabungsförderung in der regulären Klasse», «Begabungs-/Begabtenförderung in klassenergänzenden, übergreifenden „Enrichment Clusters” und/oder „Pullout- Programmen”» sowie «Begabtenförderung in Kollaboration mit Mentoren/innen und ausserschulischen Förderorten» (Müller-Oppliger 2019). In Ergänzung zum SEM-Konzept wurde an der PH NW-Schweiz ein Modell inklusiver Begabungsförderung durch differenzierende adaptive Lernarchitekturen entwickelt (Müller-Oppliger 2014, 2017; s. auch 5.1). Das «Enrichment Triad Model» Die dem SEM zugrundeliegende Didaktik ist das «Enrichment Triad Model» (Renzulli 1977), das ursprünglich als den Klassenunterricht ergänzendes Begabten- und Talentprogramm eingeführt wurde und heute vielerorts in den Schulprogrammen integriert ist. Die Forschung zum «Triad-Model» mit den drei Dimensionen (Type 1, Type II und Type III) hat belegt, dass seine Anwendung sogar unterdurchschnittliche Leistungen (Minderleistung) rückgängig gemacht und in Hochleistung umgewandelt werden kann (Baum/Hébert/Renzulli 1994; Delcourt 1993; Hébert 1993). Das Triadenmodell soll die kreative Produktivität der Studierenden fördern, indem sie sich mit selbst gewählten Interessensgebieten, Themen oder Zielen (auch interdisziplinäre und extracurriculare) vertieft und qualitativ hochwertig auseinandersetzen und dabei erweiterte Kompetenzen, Problemlösestrategien, Prozessfähigkeiten und weitere überfachliche Kompetenzen aufbauen. Das «Enrichment Triad Mode» basiert auf einem pragmatischen Zugang, wie Menschen in ihrer natürlichen Umgebung lernen, und nicht auf einer künstlich strukturierten Umgebung, die viele Lernmethoden und Klassenzimmer kennzeichnet. Es kombiniert äußere Anregung mit innerer Neugier junger Menschen an einem Thema, Problem oder Fachgebiet und Herausforderungen. Kinder sind von Natur aus neugierig und haben Freude am Lösen von Problemen. Damit sie aber ein Thema mit Engagement und Begeisterung aufgreifen, müssen sie einen persön lichen Sinn in ihrem Handeln sehen. Das Modell der Enrichment-Triade ermöglicht dies durch die Verschränkung von drei motivierenden Aktionsformen: Als Type I gelten generelle, explorative Erfahrungen mit bisher unbekannten Inhalten oder Domänen. Dies können Exkursionen und Einblicke in neue Interessensgebiete ebenso wie Begegnungen mit faszinierenden Persönlichkeiten aus verschiedenen Begabungsdomänen sein. Darauf baut Type II (Gruppenaktivitäten zur vertieften Auseinandersetzung mit individuellen Interessen) auf. Vielerorts werden dazu sogenannte «Enrichment Cluster» angeboten. Dies sind beurteilungsfreie Lerngruppen, in denen Leistungsstarke mit besonderen Interessen zu bestimmten Themen über eine bestimmte Zeit mit einer Person zusammenarbeiten, die über entsprechende Expertise verfügt (Renzulli/Gentry/Reis 2013). In der Regel werden Type I und II allen Schüler/innen einer Schule zur Verfügung gestellt. Diese Form pflegen auch heute noch Schulen, die Type I und Type II nicht in den Regelunterricht integriert haben. Sie können Interessen wecken und die individuelle Begabungsentwicklung initiieren. Typ III Enrichment (Einzel- und Kleingruppenprojekte zur Bearbeitung realer Probleme) kann ein Ergebnis auf die Aktivitäten vom Typ I und/oder II sein. Schüler/innen erhalten die Gelegenheit, besondere Fähigkeiten und Interessen individuell weiter zu entwickeln. Alle Kinder und Jugendliche, die ausgeprägte Fähigkeiten und Interessen im Unterricht oder ausserhalb der Schule erkennen lassen, können in den Type III eintreten. Solche Enrichment-Gruppen (oft als Begabungsateliers oder «Pullout»-Programme bezeichnet) ermöglichen leistungsfähigen Kindern eine an ihren Interessen und Potenzialen orientierte spezifische Förderung. Dabei besuchen die Kinder oder Jugendlichen solche Pullouts innerhalb der Regelschulzeit so flexibel wie die Schulorganisation vor Ort dies zulässt. Die Pädagogik und Didaktik der Enrichment-Triade ist unabhängig von Lehrplänen. Die Erweiterungsangebote für besonders Leistungsfähige lassen sich innerhalb jedes Curriculums und auf jeder Schulstufe organisieren. Sie erfüllen die Versprechen der Bildungspläne nach angemessener Bildung jedes Menschen (s. dazu Kap. 1.1) Identifikation und Drehtürmodell Zunächst werden Fähigkeiten, Interessen, Lernstile und Ausdrucksformen der Kinder oder Jugendlichen im Talentpool eruiert. Alle Schüler/innen gelangen zu einem Profil ihrer Stärken und Talente. Die Lehrpersonen erkennen Interessensmuster, Lern- und Produktstile. Zu den Präferenzen beim Lernstil gehören u.a. Selbststudium, Lernspiele, Peer-Learning, eigenständiges Arbeiten, digitales Arbeiten, Lernen in Simulationen, Lernen in Vorträgen durch Rezitation oder in Diskussionen. Der bevorzugte Produktstil umfasst die Art der Produkte, Ausdrucksstile, in denen die Schülerinnen und Schüler ihre Leistungen bevorzugt ausweisen können, wie schriftliche, mündliche, praktische, künstlerisch-gestalterische, theatralisch-dramatisierte, soziale und multimediale Produkte. Diese Abklärungen erfolgen durch sogenannte «InterestAlyzer» (Interessens- fragebögen), Lernstilerfassungsinstrumente, Beobachtungsbögen oder durch die forschungsbasierten Beobachtungs- und Einschätzinstrumente «Scales for Rating the behavioral characteristics of superior students» (Renzulli et al. 2004; deutsche Adaptation durch das icbf, 2016) oder die «Dimensionen der Begabungsentwicklung, DBE» (Müller-Oppliger 2018). (s. auch 3.2 Päd. Diagnostik). Das sogenannte « Drehtürmodell » ermöglicht Schüler/innen, zeitlich flexible Zugänge zu den Pullout-Programmen sobald Lehrpersonen Anzeichen für besondere Leistungsbereitschaft erkennen. Ohne langfädige administrative Verzögerung können Lernenden so bald wie möglich in Pullout-Programme eintreten und diese so lange besuchen, wie sie überdurchschnittliche Leistungen erbringen. Wenn das Interesse oder die Leistungsfähigkeit nachlassen oder persönliche oder soziale Veränderungen eintreten, die dies nicht mehr sinnvoll erscheinen lassen, verlassen die Kinder und Jugendlichen das Pullout. Diese flexible Zulassung basiert auf der Erkenntnis, dass Begabung und deren Förderung kein administrativer Akt und kein «schulpsychologischer Fall» ist, sondern eine genuine Aufgabe jeder Lehrpersonen, und dass Lehrteams im Dialog mit den Lernenden und Eltern im Rahmen einer professionellen «pädagogischen Förderdiagnostik» (Müller-Oppliger 2014; 2017) zusätzliche Förderung flexibel realisieren können sollten. Schulpsychologische Abklärung ist in den Einzelfällen angezeigt, in denen sich eine hohe Begabung aufgrund oder einer speziellen Situation nicht positiv entwickelt, sondern als Persönlichkeitsstörung oder soziale Beeinträchtigung manifestiert. Curriculum Compacting (Lehrplanverdichtung) Die Verdichtung des Lehrplans und ein Verhindern von „Warteräumen” im Unter- richt (bis alle etwas begriffen haben) ist eine Möglichkeit für Lehrpersonen den regulären Lehrplan und ihren Unterricht zu modifizieren, indem sie für Leistungs- starke Lerninhalte, die diese bereits beherrschen, eliminieren, sofern sie ihre Kom- petenz in diesen Bereichen ausweisen können. (Reis/Renzulli/Burns 2016). Diese Straffung des Unterrichts ermöglicht es (hoch-)begabten Lernenden, Wiederholun- gen oder sinnleeres Üben bereits gelernter Inhalte zu vermeiden. Es eröffnet ihnen die Möglichkeit, frei gewordene Zeit für zusätzliche Vertiefungen oder Ergänzungen innerhalb des gelernten Themas zu nutzen oder für andere anspruchsvolle Aktivitäten (Projekte) einzusetzen. Enrichment (Anreicherung) Enrichment im Typ I definiert sich als Erkundungserfahrungen, u.a. durch Vorträge und Begegnungen mit anregenden Persönlichkeiten (Identifikationspersonen), Exkursionen, Demonstrationen, dem Besuch von Kompetenzzentren oder dem Einsatz audiovisueller Materialien und Technologien, welche die Lernenden mit neuen und aufregenden Themen, Ideen und Wissensgebieten in Kontakt bringen, die normalerweise nicht im regulären Lehrplan behandelt werden. Die Anreicherung im Typ II umfasst vertiefende Lern- und Arbeitsmethoden und Strategien, die ge- zielte Entwicklung von anspruchsvollem Denken, Forschen und Handeln. Typ-II- Angebote zielen auf die Entwicklung von kreativem Denken und Problemlösefähigkeiten, kritischem Denken, den reflexiven Umgang mit Informationen sowie qualitativ hochstehende schriftliche, mündliche, visuelle und digitale Kommunikationsfähigkeiten. Das Typ III-Enrichment ist die fortgeschrittenste Stufe im Triaden-Modell. Nachdem Typ I und II und die Verdichtung des Unterrichtsstoffs den Lernenden des Talentpools regelmäßig angeboten werden, hängt der Entscheid, in den Typ III (Pullout-Programm) zu wechseln, von den Fähigkeiten und der Motivation des Einzelnen ab, auf fortgeschrittenem Niveau leisten zu wollen. Unter Typ III verstehen wir investigative und innovative Aktivitäten oder künstlerische Produktionen, bei denen die Lernenden die Rolle eines Forschenden übernehmen und wie praktizierende Fachpersonen denken, fühlen und handeln. Dabei richtet sich die Erwartung an die Lernenden auf ein angesichts ihres Entwicklungsstands und Alters möglichst hohes oder professionsnahes Niveau. Eine bedeutsame Ergänzung erfährt das SEM durch die reflexive Auseinandersetzung mit Selbstverantwortung, Mit-Verantwortung und Leadership sowie mit Sinn- und Wertefragen. Weil «Wissen ohne Gewissen» in verantwortungslosen Missbrauch von Begabungen führen kann, erscheint Reflexion des eigenen Handelns als (Hoch-)Leistungsträger und seiner Auswirkungen auf die Um- und Mitwelt eine Herausforderung aktueller Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung (Müller-Oppliger 2017, 2019). Ein wichtiges Merkmal des Modells ist die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Lernerfahrungen von Type I, II und III. Enrichment wird als Teil eines ganzheitlichen Entwicklungsprozesses betrachtet, der vorhandene oder neu entwickelte Interessen (Typ I) und fortgeschrittene Denk- und Forschungskompetenzen (Typ II) mit Anwendungssituationen in der Vorgehensweise eines For- schenden (Typ III) und Reflexion verbindet. 6. Das Renzulli-Learning System In den USA erhalten Lernende der SEM-Programme oft Zugang zum «Renzulli Learning System» (RLS), sofern die Schule dies abonniert (s. Kap. 6.2). Beim Angebot handelt es sich um ein innovatives Online-Enrichment-Programm, mit dem Kinder und Jugendliche sowohl tagsüber als auch nach der Schule zu Hause orts- und zeitunabhängig lernen können. Der erste Schritt besteht aus einer computergestützten diagnostischen Beurteilung der Stärken und Schwächen der Schüler/innen. Aufgrund einer etwa dreissigminütigen Befragung wird ein Profil ihrer akademischen Stärken, Interessen, Lernstile und bevorzugten Ausdrucksweisen erstellt. Das so entstandene Profil dient als Kompass für eine Suchmaschine, die über 50'000 Enrichment-Aktivitäten und Lernangebote durchforstet, um diejenigen zu auszuwählen, die sich speziell auf das Profil eines jeden Kindes oder Jugendlichen beziehen. Diese ausgewählten Ressourcen (von unabhängigen und kleineren Untersuchungsprojekte bis hin zu anspruchsvollen Projekt-Angeboten) werden den Ler- nenden als Lernangebote vorgeschlagen. Mit jeder Lernaktivität, welche die Schü- ler/innen erfolgreich bewältigen, passt das Programm die darauffolgende Auswahl neuer Vorschläge zur Bearbeitung dem neuen Leistungsstand im Sinn der «Zone nächster Entwicklung» (Vygotskji 1978) neu an. Das Programm ermöglicht auch Lehrpersonen auf der Grundlage einer Zusammenstellung der Interessen und Lernstilpräferenzen der Lernenden, entsprechende Unterrichts- resp. Enrichment-Gruppen zu bilden, die den Interessen, Lern- und dem Produktstilen der Studierenden angepasst sind. Field (2009) untersuchte den Einsatz des ,Renzulli Learning». Dabei stellte sich heraus, dass begabte und nicht speziell begabte Schüler/innen, die mit diesem Programm gelernt hatten und es zwei bis drei Stunden pro Woche nutzten, - begleitend zum Lernzuwachs in der gewählten Begabungsdomäne - ein signifikant höheres Leseverstehens aufweisen als die Schüler einer Kontrollgruppe, die nicht am Programm teilgenommen hatten. Anstrengungen in der Schweiz, für die deutschsprachigen Länder Europas, ein solches Informationssystem aufzubauen, sind in den vergangenen Jahren gescheitert. Zur-Verfügung-Stellen leistungsdifferenzierender Lernangebote erscheint zwar verheissungsvoll. Allerdings werden die Kosten für die Konzeption, die digitale Umsetzung und den Unterhalt (Halbwertzeit des Wissens) einer solchen Informationsplattform im Vergleich zum Nutzen bisher als zu hoch eingeschätzt. Dazu stellen sich medienpädagogische und didaktische Fragen. Sollen den Lernenden Informationen vorgegeben werden oder wäre das Bildungsziel, selber zu recherchieren, Informationen zu suchen, zu finden und auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu beurteilen? Wer beansprucht die Definitionsmacht zur Selektion und Auswahl der Wissensinhalte? Vermag das digitale Assistenzsystem überfachliche und personale Fortschritte (co-kognitive und exekutive Kompetenzen) der Lernenden genügend zu erfassen und zu berücksichtigen im Gegensatz zu einer personalisierten Lernbegleitung durch Lehrpersonen? Dennoch soll festhalten werden, dass das System eine will- kommene Lernumgebung für individualisierte Lernaktivitäten in der Schule und in der Freizeit sein kann. 7. Forschung zum «Schoolwide Enrichment»-Modell In zahlreichen Langzeitstudien zeigt sich, dass auf dem SEM basierende Bega- bungsprogramme den Schüler/innen helfen, Interessen und Begabungspotenziale zu finden, ihre Ambitionen auf nachfolgende höhere Schulen zu erhöhen und Perspektiven für die Zeit nach der (Hoch)schule und die weitere Lebenskarriere zu generieren (Delcourt 1993; Gubbins 1995; Hébert 1993). Delcourt und Hébert konnten deutliche Steigerungen in den Bereichen Kreativität und Motivation nachweisen. Ferner fanden sie positive Effekte verstärkter Interessen der Kinder und Jugendlichen in ihren Stärkendomänen und positiver Erwartungen und Einstellungen auf die Zeit nach der Hochschule. Renzulli und Reis (2014) wiesen nach, dass frühe Förderung in SEM-Programmen sich auf die spätere Leistungsbereitschaft und kreative Produktivität Begabter positiv auswirken. Dazu konnte Hébert bereits (1993) belegen, dass in Förderprogrammen gelernte nicht-intellektuelle Eigenschaften wie Kreativität, Interessen und Aufgabenverpflichtung über die Zeit hinweg konstant bleiben. Auch Delcourt (1993) konnte belegen, dass viele Kinder und Jugendliche, die an SEM-Programmen teilgenommen hatten, ihre Interessen über lange Zeit aufrecht hielten. Diese Ergebnisse wurden erneut durch Westberg (2010) bestätigt, der in einer Längsschnittanalyse aufzeigte, dass die Schüler/innen ihre früheren Interessen in Begabungsprogrammen oft noch nach dem Abschluss des Colleges und der Hochschule aktiv und produktiv weiterverfolgten. Zusammenfassend attestieren zahlreiche qualitative und quantitative Längsschnittstudien über die letzten vier Jahrzehnte den SEM-Begabtenprogrammen positive Ergebnisse in der kognitiven, affektiven und sozialen Entwicklung der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler. Die Teilnehmenden steigerten ihre Studien- und Berufsaspirationen, vertieften ihre Interessen und nutzten ihre kreativen, produktiven Kompetenzen auch nach Abschluss ihrer Mittelschulen oder Hochschulstudien. Insbesondere die positiven Erfahrungen vom Typ III motivieren Lernende, sich und ihre Talente weiter zu entwickeln und auch später im Leben besonders anspruchsvolle Aufgaben und Erfahrungen zu übernehmen. Mit anderen Worten: SEM-Teilnehmende, welche die Herausforderungen, die Intensität kreativ-produktiver Leistung und die entsprechende Anerkennung für besondere Leistungen in der Grund- und Sekundarschule und in weiterführenden Schulen erlebt haben, setzen ihre Talente auch als Erwachsene ein. Dies mag für sie persönlich zu einem erfüllenden Leben führen und über sie hinaus der Welt neue kreative Ideen, produktive Problemlösungen und Innovationen bedeuten. Das Ziel des SEM ist, Kindern und jungen Menschen zu helfen, ihre vielfältigen Begabungen zu erkennen und zu entwickeln, ob diese nun akademisch, künstlerisch, berufspraktisch oder der Verbesserung des menschlichen Lebens oder der Gesellschaft gewidmet sind. Das SEM wurde entwickelt, um Kindern und jungen Menschen Möglichkeiten, Ressourcen, Unterstützung und Anerkennung zur Verfügung zu stellen, ihre Begabungen auf dem ihnen höchstmöglichen Niveau zu entwickeln. Dies macht SEM-Schulen zu Orten der Talentförderung. Literatur Baum, S. M., Renzulli, J. S., & Hébert, T. P. (1994): Reversing underachievement: Stories of success. Educational Leadership, 52(3), S. 48-52. Delcourt, M. A. B. (1993): Creative productivity among secondary school students: Combining energy, interest, and imagination. Gifted Child Quarterly, 37, S. 23-31. Hébert, T. P. (1993): Reflections at graduation: The long-term impact of elementary school expe- riences in creative productivity. Roeper Review, 16, S. 22-28. Field, G. B. (2009): The effects of using Renzulli Learning on student achievement: An investiga- tion of internet technology on reading fluency, comprehension, and social studies. Internation- al Journal of Emerging Technology, 4, S. 29-39. Gubbins, E. J. (Ed.) (1995): Research related to the enrichment triad model (RM95212). Storrs: University of Connecticut, The National Research Center on the Gifted and Talented. http://www.gifted.uconn.edu/nrcgt/gubbins.html . Aufgerufen am 15.1.2020 Hébert, T. P. (1993): Reflections at graduation: The long-term impact of elementary school experiences in creative productivity. Roeper Review, 16, S. 22-28. Müller-Oppliger, V. (2014): Das „Schoolwide Enrichment Model“ als Choreografie inklusiver Begabungs- und Begabtenförderung. In: G. Weigand, V. Müller-Oppliger; A. Hackl; G. Schmid: Personorientierte Begabungsförderung. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. S. 253-273. Müller-Oppliger, V. (2017): Horizonte und Perspektiven der Begabungs- und Begabtenförderung. In: Begabungsförderung steigt auf. Hrsg.: Stiftung für hochbegabte Kinder. Bern: hep-verlag ag. S. 15-100. Müller-Oppliger, V. (2018): Dimensionen der Begabungsentwicklung DBE. Forschungsbericht. Muttenz: PH FHNW. Müller-Oppliger, V. (2019): Mentoring - Goldstandard der Pädagogik. In: Stiftung für hochbegabte Kinder (Hrsg.). Mentoring beschwingt. Bern: hep-Verlag. S. 8-29. Reis, S. M. & Renzulli, J. S. (2003): Research related to the Schoolwide Enrichment Triad Model. 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- Paradigmenwechsel zu einem ökologischen Begabungsmodell
Personbezogene Begabungsförderung zwischen Selbstgestaltung und Bildungsauftrag Ausgehend davon , dass die Transformation von Potenzialen in Hochleistung wesentlich auch vom Willen (Volition) und den persönlichen Einstellungen des einzelnen Begabten abhängig ist, rücken Aspekte der Selbststeuerung und der Selbstsorge in den Fokus der Begabtenförderung. Mit dem «ökologischen Begabungsmodell» wird – als Konsequenz zu den vorangehenden Ausführungen zum personorientierten Lernen – dem Individuum eine selbstbewusste Position als unverfügbare, eigenständige und eigenverantwortlich entscheidende Persönlichkeit zugestanden und zugemutet, die zu ihrer Umwelt in Beziehungen tritt. Dabei befinden sich sowohl die Person wie deren Umwelt in steter Bewegung. In dynamischen Prozessen wirken sie wechselseitig aufeinander ein und verändern resp. definieren sich immer wieder neu in gegenseitiger Bedingtheit. Das Modell verdeutlicht die Ökologie zwischen der Selbststeuerung begabter Menschen mit ihrem Selbstverständnis, ihren Fähigkeiten zur Selbstgestaltung und Möglichkeiten zur Autonomie und den von außen an sie herantretenden unterschiedlichen Bildungsansprüchen und Fördermöglichkeiten. Als erziehungswissenschaftliches Modell will es den Blick auf eine fundierte Pädagogik und Didaktik der Begabungsförderung und auf die Bedingungsfaktoren begabungsfördernder Lernprozesse und Bildungsstrukturen eröffnen. Es verweist auf zentrale Aspekte zur Begabungsentwicklung, die aufgrund der Lern- und Expertiseforschung als relevant erachtet werden bei der Umsetzung individualisierter und sozial wertegeleiteter Begabungsförderung. Erste Ebene: Eigensinn, Selbststeuerung und Erziehungseinflüsse im Dialog Das Modell bezieht sich in seiner systemischen Grundlegung auf die ökologische Entwicklungstheorie nach Bronfenbrenner mit seiner Systemorientierung an Mikro, Meso- und Makros- und Chronosystemen, die Entwicklungen von Menschen, deren Fähigkeiten und Einstellungen beeinflussen (Bronfenbrenner 1981). Die Person mit den ihr zur Verfügung stehenden Dispositionen und angelegten Potenzialen steht im Zentrum ihrer Entwicklung. Dabei wird davon ausgegangen, dass Lernen dann stattfindet, wenn es dem Lernenden sinn-voll und bedeutsam erscheint. Lernen beruht – in Übereinstimmung mit den Theorien zur Motivation – auf Eigensinn, auf Entscheiden des Individuums, ob ihm etwas bedeutsam erscheint resp. Sinn ergibt. Es wird unterstellt, dass Lernende in der Regel grundsätzlich sowohl über einen eigenen Willen wie über Fähigkeiten zur Selbstsorge und Bedürfnisse zur Selbstwirksamkeit verfügen. Die Person ist umgeben von ihrer soziokulturellen Umwelt (Mesosystem). Diese umfasst primär ihre Familie, die über eigene Wertvorstellungen verfügt, aber auch Werte mit einer bestimmten soziokulturellen, politischen und/oder beruflichen Schicht teilt. Darüber hinaus sind Menschen Mitglieder einer oder mehrerer alters- oder interessenspezifischen Subkulturen, an denen sie/er teilhat, und durch die und deren Wertvorstellungen sie/er mit beeinflusst wird (und sie umgekehrt mitgestaltet). Teil dieser soziokulturellen Umwelt ist die Schule mit ihren Bildungsangeboten, Erwartungen und Bildungsaufträgen. Das Entwickeln von (Hoch-)Begabungen kann nun im Feld zwischen dem Vermögen, dem Willen und den Kräften der Selbstgestaltung des Schülers/der Schülerin einerseits und den Ansprüchen und Angeboten der Gesellschaft mit ihren Strukturen und deren Resonanz (Anerkennung) andererseits stattfinden. In Bereichen des schulischen Lernens sind der Unterricht, das Curriculum, die Schule mit ihren Strukturen und die Lehrperson in ihrer Berufsrolle Repräsentanten dieser Außenansprüche und Arrangeure entsprechender Lernangebote. Spezielle Interessen, besondere Potenziale und hohe Begabungen können aber durchaus auch extracurricular sein und die Schule als begabungsfördernde Institution herausfordern (oder gar ersetzen). Hinsichtlich Begabungsentwicklung und deren Lernprozesse ist zu berücksichtigen, dass Begabungen in individuell unterschiedlichen Inhaltsdomänen und Interessengebieten (auch schwerpunktmäßig) und Ausprägungen auftreten können. Sie finden sich darüber hinaus auf unterschiedlichen Niveaus und zwar jeweils in den «Zonen nächster Entwicklung» (Vygotsky 1978) der einzelnen Personen mit ihren spezifischen Potenzialen und Interessen. Lernen und Hochleistungen bauen einerseits auf subjektivem Vorwissen und Voreinstellungen auf, sofern das neue Wissen als erreichbar und erstrebenswert bewertet wird. Andererseits wird unter der «Zone of proximal development» diejenige Spannbreite verstanden, die mit Hilfe und Unterstützung Fortgeschrittener auf der Basis des bisherigen Wissens erreichbar ist. Da diese Zone nächster Entwicklung an biografisch unterschiedliche (Lern-)Erfahrungen anschließt, sind mit monodimensional angelegten Lehrmethoden nie alle Lernenden einer heterogenen Lerngemeinschaft am Ansatzpunkt ihrer Begabungsentwicklung erreichbar. Beim Lernen entwickeln die Lernenden eigen-sinnige Wissenskonstruktionen und Verständnisse von Lerninhalten. Dies trifft in besonderem Ausmaß für begabte und kreative Schüler/innen zu. Diese individuellen Verstehenshorizonte können auch als „Lesarten“ eines Lerninhalts bezeichnet werden (Derrida 1974, Forneck 2006). In begabungsfördernden Lernarrangements werden solche Lesarten (subjektive Interpretationen eines Lerninhalts) in der Begegnung mit anderen (Mitlernende, Lehrpersonen, Fachexperten/innen) in Bezug gesetzt zu deren (ebenfalls subjektiven) Verstehensweisen. So kann reflexives Wissen sowie vertieftes Verstehen in sozialer Co-Konstruktion im Rahmen von kooperativen Lernanlässen in der Lerngemeinschaft oder in Lerndialogen mit Lehrpersonen, Experten/innen oder Mentor/innen entstehen. Überall da, wo Lernen über deklaratives Faktenwissen, reproduktives Auswendiglernen und Automatisieren 70 hinausgeht, stellen solche Lerndialoge und der damit verbundene Abgleich personaler Lesarten und Verstehensweisen mit anderen oder mit der Lehrperson als Fachperson resp. mit Experten/innen einen bedeutsamen Durchgang dar zur Reflexion des eigenen Lernens und Denkens und zur Fähigkeit Expertise in Dialogen aufzubauen (vgl. dazu auch Bloom’s Taxonomien zu «Higher Order Thinking», 1981). Zweite Ebene: Das Selbstkonzept als Schlüssel zur Hochleistung In Anlehnung an G. H. Mead (vgl. „Symbolischer Interaktionismus“: 1913, 1934) wird im Modell unterschieden in Wesenskerne des Individuums (das „Ich“; engl. „I“; der Innenkreis) mit seinen Grundvoraussetzungen und Dispositionen und in das „Selbst“ (engl. „ME“). Dabei wirken das „I“ und das „ME“ zusammen und alle Ausdrucksformen von Individuen beruhen jeweils auf einem Miteinander dieser beiden Instanzen. Dennoch erscheint die Unterscheidung im Zusammenhang mit Begabungsentwicklung dienlich, weil wir damit unterscheiden können in Persönlichkeitsanteile, die als gegebenes Begabungspotenzial verstanden werden und in die sich ausgestaltende Person (das Selbst), die ihre Anlagen durch Umwelt, gelungene Lernprozesse und Eigenaktivität realisieren kann. Dieses „Selbst“ der Person umfasst die aus vorhandenen Anlagen entwickelten, in (Hoch-)Leistung transformierten Begabungspotenziale. Diesem Teil der Person wird auch das Selbstkonzept einer Persönlichkeit zugeschrieben, das sich zwar auf dem „I“ aufbaut und von den individuellen Ressourcen abhängt, sich aber im Verlauf einer Lebens- und Lerngeschichte erst ausprägt. Das Selbstkonzept kann als Gedächtnisstruktur definiert werden, die alle auf die eigene Person bezogenen Informationen enthält. Sie umfasst unter anderem das Wissen einer Person über die eigenen Kompetenzen, Vorlieben und Überzeugungen (Hannover 1997, Wild 2006). Dieses biografisch erworbene Wissen über die eigene Person ist prägend ist für die Selbstwahrnehmung und das Selbsterleben sowohl von Persönlichkeitseigenschaften («Ich bin ...») wie auch von verhaltensbezogenen Informationen («Ich kann ...»). Für Lernprozesse generell und insbesondere für die (Hoch-)Begabungsförderung von Kindern und Jugendlichen erscheint unverzichtbar, ihre spezielle Situation („anders als die anderen“), ihr eigenes Lernen und die Reflexion zum eigenen Lernen sowie die (möglichen) Effekte ihrer (Hoch-)Begabung in Bezug zu setzen zu ihrem Selbsterleben, also dem eigenen Selbstkonzept. Minderleistung, Perfektionismus, „Twice Exceptional“ (Hochbegabung bei gleichzeitiger Behinderung) und andere Fehlentwicklungen im Bereich der Begabungsrealisierung stehen in den meisten Fällen in direktem Zusammenhang mit dem Selbstkonzept der betroffenen Personen. An das Selbstkonzept referieren denn auch die von Renzulli postulierterten co-kognitiven Fähigkeiten einer Person, die er als «intelligences outside the normal curve» oder als «co-cognitive traits» (2002, S. 33) bezeichnet. Damit schließt Renzulli an sein bereits mit seinem dynamischen Drei-Ringe-Modell (1978) formulierte Interdependenz der Begabungsentwicklung zwischen Personenmerkmalen und den das Individuum beeinflussenden sozialen- und Umweltkontexten (Familie, Peers, soziokulturelle Schicht, Schule, Gesellschaft) an. Aufgrund einer breit angelegten Metaanalyse und mehrstufigen Delphi-Befragungen, wurden dazu vom National Research Center on the Gifted and Talented, USA sechs hauptsächliche Schlüsselmerkmale definiert, die in engem Zusammenhang mit dem Selbstkonzept des Menschen stehen und von zentraler Bedeutung für die Entwicklung von Hochleistung sind (Renzulli & Sytsma 2008; Sytsma 2003): Optimismus (mit den Subkategorien: hope; positive feelings from hard work), Mut (psychological/intellectual independence; moral convictions), Hingabe an ein Thema resp. Fach (absorption; passion)- Sensibilität für menschliche Belange (insight; empathy), Körperliche und geistige Energie (charisma; curiosity) sowie Zukunftsvision und das Gefühl, eine Bestimmung zu haben (sense of power to change things; sense of direction; pursuit of goals)(vgl. dazu Renzulli & Sytsma 2008, S. 303; Müller-Oppliger 2011; in diesem Buch). Als Teilkonstrukt ist das «schulische Selbstkonzept» für Lernprozesse von besonderer Bedeutung, also die Einstellung zu sich, seinen Potenzialen, Leistungen und Verhalten im schulischen Lernen. Für die Schule stellt sich deshalb die Frage, ob und wie es ihr gelingt, die Lernenden zu befähigen, ein positives schulisches und über die Schule hinaus führendes Selbstkonzept als Grundlage für deren lebenslanges Lernen aufzubauen. Dritte Ebene: Fünf Faktoren begabungsfördernder Lernprozesse Betrachten wir das Begabungsmodell von der lerntheoretischen Seite und aus der Optik der pädagogischen Wirkfelder, dann sind die Aspekte „Emotionen“, „Motivation und Volition“, „Kognition“, Aktion“ und „Reflexion“ für das Gelingen qualifizierter Begabungsförderung ausschlaggebend. Emotionen als Grundlage gelingender Lernprozesse (Vertrauen): Über Emotionen wissen wir, dass positive Emotionen (mit seinen Stärken und Schwächen und seiner Herkunft akzeptiert und respektiert zu sein; Wertschätzung und Sicherheit) holistische und kreative Formen des Denkens begünstigen. Spannungsfreie und positiv erlebte Lernsituationen begünstigen «riskantere» und innovativere Wege des Denkens und Handelns. Demgegenüber ziehen negativ besetzte Lernsituationen, Stresserleben, Prüfungs- oder Versagensangst, Leistungsdruck oder soziale Spannungen, einen eher auf Details fixierten, weniger beweglichen Denkstil nach sich. Lernen wird in solchen Situationen auf einfache und sicher zu bewältigende Probleme zurückgenommen; experimentelles und exploratives Lernen wird eher vermieden. Negative Emotionen wie die Angst vor Beschämung oder rivalisierende Vergleiche innerhalb von Lerngruppen (Notensystem mit Sozialbezugsnorm) führen bei einem Großteil von Lernenden zu weniger flexiblem Problemlöseverhalten und weniger differenzierten Denkleistungen. Sie ziehen oft ein auf Sicherheit bedachtes und eher undifferenziertes Auswendiglernen nach sich (Bless & Fiedler 1999, Abele 1996). Die Anerkennung als Mensch mit Stärken und Schwächen ungeachtet der sozialen Herkunft sowie die Sicherheit der Zugehörigkeit und das Recht auf Entwicklung (mit dazugehöriger Fehlerkultur) in einem positiven Lernklima sind die Basis einer auf Selbstvertrauen basierenden Begabungsförderung. «Volition» als Teil von Motivation» (Selbstwirksamkeit) Zeitgenössische Motivationstheorien beinhalten den Aspekt des eigenen Entscheids des Lernenden, sich auf Lernprozesse und Anforderungen einzulassen oder sich diesen zu verweigern resp. zu entziehen. Heckhausen (1989) bezeichnet diesen Aspekt des Wollens, der Volition, mit dem „Überschreiten des Rubikon“, nach dessen Entscheid des Lernenden, sich auf eine Sache einzulassen, es keinen Rückzug mehr gibt. Im Anschluss an Heckhausen nehmen die Selbstwirksamkeitstheorien eine noch pointiertere Position zur Motivation ein (Deci & Ryan, Wild & Krapp 1996; Prenzel et al. 1996; Pintrich, Roeser & DeGroot, 1994). Nach den Erkenntnissen der Selbstbestimmungstheorie ist die Lernmotivation umso höher, je stärker die Lernenden sich als «Verursacher ihrer Handlungen» erleben, je mehr sie sich als Person von Lehrpersonen akzeptiert fühlen, je häufiger sie im Unterricht persönlichen Lernfortschritt (Erfolg) erkennen, je mehr Wert auf kooperatives Arbeiten und soziale Zugehörigkeit gelegt wird, je mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten sie wahrnehmen können. Umgekehrt ist mit umso niedrigerer Motivation zu rechnen, je stärker Lehrpersonen kontrollierendes Verhalten an den Tag legen, je weniger Mitbestimmungsmöglichkeiten fürs eigene Lernen eingeräumt werden, je mehr Leistungsbeurteilung auf Wettbewerb und Konkurrenz im sozialen Vergleich abzielt, je mehr sich Selektionsentscheide ausschließlich an formal erbrachten Leistungen orientieren. Deutlich wird dabei, dass Motivation zur (Hoch-)Leistung letztlich auf eigenen Entscheiden (Volition) der Lernenden basiert. Dies in Abwägung der Erwartungen oder Risiken aufgrund der eigenen Lerngeschichte und in enger Verbindung mit dem eigenen Selbstkonzept, der Vorstellung von den eigenen Fähigkeiten und der Erreichbarkeit von Zielen. Damit schließt sich ein wesentlicher Kreis zur Person als Urheber/in der eigenen Begabungsförderung. Begabungsförderung ist untrennbar verbunden mit Freiräumen zur Selbstgestaltung und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung; mit Interessenleitung und dem Recht auf individuelles Denken, kreative Gedanken und dem subjektiven Erleben, etwas zu leisten zu können, was über normative Vorgaben eines sich an Durchschnittserwartungen oder Lehrbuchlösungen orientierenden Unterrichts. Kognition (Anschlussfähigkeit) Neuere Lerntheorien zum Konstruktivismus belegen in Übereinstimmung mit neuropsychologischen Erkenntnissen die Große Bedeutung des Vorwissens für weitergehendes Lernen. Neue Informationen werden jeweils durch bisherige Vorverständnisse und Bedeutungszuschreibungen wahrgenommen, interpretiert oder abgewiesen. Davon ausgehend, dass Wissen individuell konstruiert wird, bedeutet Lernen deshalb, an vorangehendes Wissen anzuschließen, dieses auszudifferenzieren oder gar dekonstruieren und neu organisieren zu müssen. In diesem Sinn ist Lernen immer auch das Erleben von Differenz. Neues wird auf der Folie des Bisherigen bewertet; Bestehendes wird durch neue Impulse und Stimulation irritiert und provoziert und verlangt nach neuer Integration ins eigene Verstehen. Diese Neuorganisation des Wissens ist gebunden an die vorgängig ausgeführte „Zone nächster Entwicklung“ (Vygotsky 1978), in der Lernen optimal stattfinden kann. Dabei gelingt Lernen in der «Zone of Proximal Development» vor allem dann, wenn das biografische Vorwissen aktualisiert und einbezogen wird, wenn die Lernaufgaben herausfordernd sind (ein Schritt über dem bisherigen Verstehenshorizont) und wenn die Lernenden im Lern- oder Ausbildungsprozess von einer Person mit fortgeschrittenem Wissen begleitet werden (, wie dies in Begabungskonzepten bei Mentoren resp. Mentorinnen der Fall ist). Aktion (Performanz) Hochleistungen manifestieren sich in aller Regel nicht in der Reproduktion von Wissen (z.B. in schulischen Lernkontrollen) sondern in Handlungen, d.h. in Fähigkeiten, die in Performanz umgesetzt werden, und in Wirkungen, die sie auf ihre Umwelt erzeugen. Entsprechend ist Begabungsförderung bestrebt, Leistungen produktiv sichtbar werden zu lassen: In Präsentationen, Experimenten, Vorführungen, Wettbewerben oder in Projekten mit öffentlicher Beteiligung (z.B. im Bereich des «Service Learning»). Daneben sollten „stille Hochleistungen“ (oft im sozialen, emotionalen oder künstlerischen Bereich) nicht übersehen werden. Zur Handlungsebene mit dazu gehören das Erlernen von Denk- und Lernstrategien und Lernpraktiken, der Aufbau von Methodenkompetenz (vor allem auch zu forschendem und entdeckendem Lernen), aber auch kommunikative und kooperative Kompetenzen, welche die Präsentation von Leistungen und die Zusammenarbeit mit anderen ermöglichen. Deshalb gewinnen in der jüngsten Forschung zur Begabungsförderung diese sogenannten «executive functions» (Renzulli & Mitchell 2011) zunehmend an Bedeutung. Reflexion (Selbststeuerung) Begabungsförderung als Befähigung zu selbstbewusstem lebenslangem Lernen verlangt als Schlüsselqualifikation, das eigene Fühlen, Denken und Handeln wahrzunehmen und in Bezug auf seine (Aus-)Wirkungen einschätzen und selber steuern zu lernen (Schoen 1983, Dewey 1933/2010). Dieser Anspruch auf eigenverantwortliches Agieren und Lernen fordert über das Erlernen von Lerntechniken und Praktiken hinaus die Auseinandersetzung mit den eigenen Lerneinstellungen, allfälligen Widerständen, den Sinnbezügen des Handelns und den damit verbundenen Werten (für die eigene Person und über sich hinausführend). Neben Selbstlernkompetenzen bilden sich Selbstbewusstsein und ein Bewusstsein für die Wirkungen und Konsequenzen des eigenen Handelns aus. Gerade bei (hoch-)begabten Schüler/innen erscheint diese Reflexion über ihre besonderen Begabungen und deren Umsetzung, der Umgang mit ihrer Situation und ihr Rollenverständnis innerhalb und außerhalb ihrer Lerngruppe (resp. der Gesellschaft) wichtig. Der Aufbau ihres Selbst- und sozialen Situationsbewusstseins muss ein zentraler Aspekt einer auf Personentwicklung angelegten (Hoch- )Begabtenförderung sein. In diesem Zusammenhang sei auf Ansätze für die praktische Umsetzung wie das „dialogische Lernen“ (Ruf & Gallin 1998), auf den Stellenwert von Lernbegleitung und Mentoring, aber auch auf die den Aufbau von Reflexion und Selbstbewusstsein unterstützenden didaktischen Instrumente wie Lernjournal, Logbuch und Portfolio (vgl. Kap. 2) hingewiesen. 4. Ebene: Begabungen und (Hoch-)Leistung in drei Leistungsdimensionen Oftmals werden unter Hochbegabung und Hochleistung verkürzt Leistungen im intellektuellen oder kreativ-innovativen Bereich verstanden (z.B. Mathematikwettbewerb, Literaturwettbewerbe, Jugendforscherpreise, künstlerische oder sportliche Wettbewerbe, usw.). Demgegenüber versteht der vorliegende Ansatz Hochleistung in einem breiteren Horizont. Es wird nämlich davon ausgegangen, dass sich Hochleistungen sowohl in sachbezogener und fachlicher Exzellenz, als auch als überdurchschnittliche soziale und personale Leistungen manifestieren können. Sachbezogene Exzellenz; fachliche Hochleistung und Performanz Selbstverantwortliche, reflektierende Persönlichkeit mit wertebezogenem Bewusstsein über die eigenen Möglichkeiten, das eigene Handeln und dessen Effekte. Soziale Hochleistung, Leistungen zugunsten der Gemeinschaft/Gesellschaft und altruistische Übernahme von Verantwortung. Damit erweitert sich die Perspektive der Begabungsförderung von der rein fachlichen und funktionalen Exzellenz auf die persönliche Selbstverwirklichung und Selbstsorge sowie auf Hochleistungen im Bereich der Fürsorge und Solidarität in der Gesellschaft (z.B. Mutter Theresa, Henri Dunant), aber auch sozialer oder politischer Begabungen (Mahatma Gandhi, Eva Peron, Nelson Mandela, u.a.). Diese Ausdehnung der Betrachtungsweise schließt an die Überlegungen zur Selbstsorge und Selbstgestaltung der eigenen Persönlichkeit an (bspw. Martin Luther King, Viktor Frankl) aber auch an die Diskurse zur Bedeutung von co-kognitiven Begabungen, zu „Begabungen als Soziales Kapital“ oder zu „Altruistic Leadership“. Mit dieser mehrdimensionalen Betrachtungsweise von (Hoch-)leistung sieht diese sich immer wieder mit Sinn- und Wertefragen konfrontiert und zwar mit Bezug auf den einzelnen Menschen und seine mögliche Bestimmung und soziale Eingebundenheit und Anerkennung, wie auch hinsichtlich ihrer Relevanz für die Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur und deren Erneuerung und Weiterentwicklung. Literatur: Müller-Oppliger, Victor (2014). Paradigmenwechsel zu einem ökologischen Begabungsmodell. In: Gabriela Weigand, Victor Müller-Oppliger; Armin Hackl; Günther Schmid (Hrsg). Personorientierte Begabungsförderung. Eine Einführung in Theorie und Praxis . Weinheim, Basel: Beltz Verlag. S. 68-76.
- Spuren des Lernens – Portfolio
Fürs selbstgesteuerte Lernen ist das Bewusstsein für das eigene Lernen essenziell. Lernende müssen erkennen, wo sie sich im Lernprozess befinden, was sie bereits erreicht haben, was noch vor ihnen liegt (Lipowski 2002, S. 136). Eine andere grosse Rolle spielen die metakognitiven Fähigkeiten. In Selbstlernarchitekturen wird von Lernenden erwartet, dass sie sich realistische Ziele setzen, diese bewusst verfolgen, Arbeitsprozesse planen, steuern und überwachen und «Ergebnisse an den gesetzten Gütemassstäben und Zielen» (Lipowski 2002, S. 136) bewerten. Ein geeignetes Instrument, um die Arbeitsprozesse zu planen, steuern und zu reflektieren, bietet neben der Lernberatung die Arbeit mit einem Lernjournal oder Lerntagebuch, einem integrativen Element des Portfolios. Es gibt unterschiedliche Formen von Portfolios, die sich nach Zweck, Unterrichtsform, Medium oder Art der Qualifikation unterscheiden können, z.B. ächer- bzw. Themenportfolio, Entwicklungs- oder Lernportfolio, Präsentationsportfolio (»Best-Off«), Talentportfolio, Qualifikations- oder Evaluationsportfolio, Sprachenportfolio oder Bewerbungsportfolio (Jervis 2002, S. 280 f.; Johnson/Rose 1997, S. 157 ff.; Lissmann 2000, S. 292 ff. In: Müller-Oppliger 2014, S. 194). Arbeit mit dem Portfolio Die Form/Gestaltung des Portfolios ist frei. Es kann eine liebevoll, selber verzierte Schachtel, eine Schatztruhe, ein Ordner, ein Ringheft, ein E-Portfolio sein. Ein einfaches Portfolio kann schon im Zyklus 1 eingeführt werden. So werden die Voraussetzungen geschafft, damit Kinder nach und nach die Fähigkeit entwickeln, «das eigene Handeln und das Ergebnis einer Arbeit in Bezug zu vorgegebenen Kriterien zu setzen» (Blanc, Lieger, Huber, Rützler 2021, S. 6). Die Arbeit mit Portfolios umfasst folgende Schritte (Blanc, Lieger, Huber, Rützler 2021): Sammeln von gelungenen und auch weniger gelungenen Originalarbeiten (Zeichnungen, Skizzen, Arbeitsblätter etc.) zur Reflexion. Kommentieren der ausgewählten Originalarbeiten durch Lehrpersonen oder auch in Form von Peer-Feedbacks. Zu den Kommentaren zählen das Beschreiben des Entstehungs-Kontextes und die Bedeutung für die Lernenden und ihr weiters Lernen. Reflexion über das eigene Lernen. Die metakognitiven Fähigkeiten, die dafür erforderlich sind, müssen nach und nach aufgebaut und geübt werden. Gerade bei Kindern im Zyklus 1 gelingt die Lernreflexion nur durch eine systematisch geplante, enge Prozessbegleitung durch die Lehrperson. Präsentieren der Portfolios in einem geeigneten Rahmen (z.B. bei Mitschülern oder Eltern) mit aufbauenden Feedbacks zum Arbeitsprozess. Feedbacks mittels Portfoliogespräche. Diese stärken die Beziehung zwischen der Schülerin oder dem Schüler und der Lehrperson und rücken die Selbstwirksamkeit der Lernenden in den Fokus. Zudem wird eine förderliche Feedbackkultur gestärkt und gelebt. Regelmässigkeit der Portfolio-Arbeit. Durch die Regelmässigkeit wird das Portfolio zum integralen Bestandteil des Unterrichts. Damit der Start mit dem Portfolio gelingt, ist eine gute Planung erforderlich. Fragen, Ziele, Form und Funktionen müssen geklärt sein (Müller-Oppliger 2023). Talentportfolio Das Portfolio kann zum stärkenorientierten Talentportfolio weiterentwickelt werden. «Das Talentportfolio erzählt die Geschichte der individuellen Stärken und Begabungen von Lernenden, wobei Lernende unterstützt werden, alles ins Talentportfolio aufzunehmen, was ihnen hilft, diese Geschichte besser zu erzählen.» (Eisenbart et al. 2010, S. 1-4 auf lissa-preis.ch ). Als dynamische und systematische geführte Mappe von schulischen und ausserschulischen Tätigkeiten zeigt das Talentportfolio folglich die (reflektierten) Interessen, Stärken und Fähigkeiten eines jungen Menschen (Purcell/Renzulli (1998) in: Müller-Oppliger 2014, S. 195). Dazu zählen (vgl. Paulson/Paulson/Meyer 1993; Lissmann 2000; Winter 2015; Müller-Oppliger 2017; in: Müller-Oppliger 2021 S. 437): die besten Informationen in Bezug auf Fähigkeiten (ausgewählte Produkte, Diplome, Auszeichnungen), Interessen (z.B. Multiple Intelligenzen nach Gardner) und Stilvorlieben (Lernstil, Lernumfeld, Lernpräferenzen, Denkstil, Ausdrucksstil) Stärken (Dokumentation und Nachweise von Engagement und Können) mit Kommentaren und Feedbacks von Lernbegleitenden, Peers, Eltern Kompetenzraster mit fachlichen und überfachlichen Kompetenzen (sozial/personal/methodisch) Lernplanung («Logbuch») und Lernzielvereinbarungen die reflektierte Entwicklung des Lernens (Lernwege, Widerstände, eigenes Lernen, Lernstrategien, Motivation und Selbstansprüche), um das eigene Lernen besser zu verstehen) Zudem findet ein reflexives Nachdenken und Festhalten statt (Eisenbart et al. (2010): über die eigene Person (Befinden, Gefühle, Interesse, Durchhaltevermögen, Selbstmotivation, Wille …) über die Lernaufgabe/das Problem (Schwierigkeitsgrad, eigene Fähigkeiten, Zusammenhang zwischen Anstrengung und Erfolg) Lernhindernisse und Lernhilfe (Lernstrategien, Arbeitstechniken, Stilvorlieben, Sozialformen, etc.) Lernwünsche und neue Lernziele (Selbstbeurteilung, Wünsche, Visionen) Die Arbeit mit Talentportfolios erfordert aufgrund des hohen reflexiven Charakters entsprechende metakognitive Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern, was insbesondere leistungsschwächere Lernende überfordern kann. Die Arbeit mit dem Talentportfolio und den unterstützenden Lerndialogen fördern «ein positives Selbstverhältnis zu den eigenen Potenzialen und deren Umsetzung in Leistung» (Müller-Oppliger 2014, S. 209). Das Lernjournal oder Lerntagebuch als integratives Element des Portfolios Das Lernjournal dient dazu, die Themen und Lerninhalte zu planen, Lernsequenzen nach Plan durchzuziehen, Lernnotizen zu erstellen, Gelerntes, den Wissenszuwachs und eigene Lernmethoden zu reflektieren. Folgende Leitfaden regen die Lern- und Selbstreflexion an (Lipowski 2002, S. 150): «Was hast du gemacht/bearbeitet?» «Was hast du Neues erfahren?» «Was weisst du nun, was du vorher noch nicht wusstest?» «Hattest du Schwierigkeiten und Probleme? Wie hast du dir geholfen?» Abb: Lernjournal-Auszug aus dem Modul 2 im CAS IBBF FHNW. Anstelle einer Word-Vorlage wurde das «Learning Journal» von Leuchtturm1917 verwendet. Lernjournale bieten ein hervorragendes Instrument, um «kognitive Vorgänge, aber auch emotionale und soziale Aspekte des Lernens sichtbar zu machen» (Lipowski 2002, S. 150). Es finden sich Hinweise zu Lernpräferenzen, Lernmotivation, aber auch Lernwiderstände und Schwierigkeiten. Beim Lernjournal kommt es weniger auf die Form, als auf die Prozess an. Das Bewusstsein für das eigene Lernen stärkt das Selbstwirksamkeitsgefühl. Lernende erleben sich als Verursacher ihres Handels, was sich wiederum positiv auf ihre Leistungsmotivation auswirkt. Darüber hinaus werden reflexive und metakognitve Kompetenzen gefördert (Lipowski 2002, S. 150). Quellen Lipowsky, F. (2002). Zur Qualität offener Lernsituationen im Spiegel empirischer Forschung - auf die Mikroebene kommt es an. In: Drews, U.; Wallrabenstein, W. (Hrsg.), Freiarbeit in der Grundschule. Offener Unterricht in Theorie, Forschung und Praxis (S. 126- 159). Frankfurt am Main: Grundschulverband. Eisenbart U., Schelbert B., Stokar-Bischofberger E. (2010): Stärken entdecken – erfassen – entwickeln = e3 Das Talentportfolio in der Schule. Bern: Schulverlag Plus S.1-4, 9-11, 24-27, 61-66. Müller-Oppliger, V. & Weigand G. (2021). Handbuch Begabung. Erweiterte Leistungsbeurteilung – Portfolio, Lernjournal, Kompetenzraster & Co. Weinheim: Beltz.S. 427-440. Blanc B., Lieger C., Huber F., Rützler, W. (2021): Portfolio in der Schule Anregungen für Schulleitungen und Lehrpersonen. Bildungsdirektion Kanton Zürich: Volksschulamt.
- Das Konzept «Multiple Intelligenzen» (Howard Gardner, 1983)
Howard Gardner (1983) hat die psychometrische Tradition (die auf Untersuchungen zur Korrelation zwischen verschiedenen Testtypen basiert) mit der Frage bereichert, wie Intelligenz strukturiert werden könnte. Seine Forschungsergebnisse führten ihn zu der Theorie, dass es mindestens sieben, in jüngsten Arbeiten neun, unterscheidbare Arten von Intelligenz gibt, und dass diese nur minimal miteinander korrelieren oder wechselseitig in Beziehung stehen. Sprachliche Intelligenz («word smart») Diese Art der Intelligenz äussert sich in ihrer extremsten Form in den nuancierten Formulierungen des Dichters oder Schriftstellers, bzw. in der teilweisen oder völligen Unfähigkeit eines Sprachbehinderten, Sprache zu gebrauchen. Hier ist angesprochen, was wir gemeinhin verbale Intelligenz nennen. Sie schliesst die Fähigkeit ein, einen Wortschatz zu gebrauchen, Sprache zu analysieren, komplexes sprachliches Material zu verstehen und Metaphern zu verstehen. Musische Intelligenz («music smart») Sie zeigt sich im Genius eines Mozart, aber auch in der ganz normalen Entwicklung musischen Talents bei Schulkindern, die nach der Suzuki-Methode ein Instrument erlernen. Musische Fähigkeiten bei Dreijährigen zu wecken, wie es die Suzuki-Methode tut, spricht für die Vorstellung von musischen "Anlagen" im Kind, die darauf warten, von der Umwelt geweckt zu werden. Logisch-mathematische Intelligenz («number / reasoning smart») In ihrer Extremform zeigt sie sich im mathematischen Genie ebenso wie in den langen logischen Denkgebilden und Theoriebildungen etwa der Kernphysik oder der Molekularbiologie. Rechnen, Algebra und symbolische Logik – sie alle brauchen diese Form der Intelligenz. Räumliche Intelligenz («picture smart») Sie zeigt sich deutlich in der Arbeit der Architekten und Ingenieure; sie bevorzugen eine einmalige Fähigkeit, räumlich zu denken. Ebenso spiegelt sie sich wieder in den Biographien eines Rodin oder Picasso. Sie wird mit Tests gemessen, bei denen der Proband nach versteckten Figuren in Diagrammen sucht, oder im Geistze Objekte im Raum rotieren lässt und beschreibt, wie sie sich perspektivisch verändern. Körperlich-kinästhetische Intelligenz («body smart») Diese Art von Intelligenz wird von Athleten, Tänzern und Jongleuren demonstriert. Sie zeigt sich in einem fast perfekten Körperbewusstsein und einer beinahe perfekten Körperkontrolle. Intrapersonale Intelligenz («self smart») Diese Form von Intelligenz finden wir als Selbsterkenntnis oft bei religiösen Menschen, oder als spezifisches Wissen über Körperfunktionen und Gefühle, worüber beispielsweise indische Fakire verfügen. Es gibt keine Tests, die diese Fähigkeit messen. Interpersonale Intelligenz («people smart») Diese Form von Intelligenz, häufig auch als soziale Intelligenz bezeichnet, hat mit der Fähigkeit zu tun, subtile Hinweise und Anspielungen in unserer komplexen sozialen Umwelt (Elternhaus, Freundeskreis, Schule, Beruf, Politik Verein, Nachbarschaft) aufzugreifen und zu verstehen. Naturalistische Intelligenz («nature smart») Dabei handelt es sich um eine Form der Intelligenz, die sich an ökologischen Werten, Verhaltensweisen, Begabungen und Beziehungen orientiert Spirituelle Intelligenz («spiritual smart») Die existentielle Intelligenz kann definiert werden als philosophische Fähigkeit, Einsichten zu haben in Fragen der menschlichen Existenz, Bedeutung des Lebens und des Sterbens, Fragen des Bewusstseins und der Erkenntnis. Auch Fragen nach der Bedeutung des Zufalls; Was wäre wenn..... u.a. Auf der Seite «Pädagogische Diagnostik: Beobachtungsraster und Fragebogen» finden Sie Fragebogen zu Gardners Multiplen Intelligenzen zur direkten Anwendung.
- MyEscape Box – ein Spiel, 101 Spielmöglichkeiten
Verwandle dein Klassenzimmer in einen Escape-Room. Ein begabungsfördernes Spiel, das für alle Schulstufen geeignet ist und in jedem Alter Spass macht. Das gemeinsame Rätseln fördert: Kooperation Kommunikation Kreativität Kritisches Denken Oder die vier Z: Zäme schaffe, Zäme schwätze, Zunderobsi dänke, Zrugg überlegge Gründerin der MyEscape-Box ist Jacqueline Germann, Spiele-Erfinderin, Primarlehrerin und Absolventin des CAS Integrierte Begabungs- und Begabtenförderung an der FHNW. In ihrem Online-Shop bietet sie neben Workshops für Schulen, Firmen, Vereine oder Privatpersonen die Box zum Kaufen oder Mieten, Schlösser und Spielanleitungen an. Für zukünftige EscapeBox-Profis gibt es individuelle EscapeBox-Kurse am verschiedenen Pädagogischen Hochschulen und anderen Bildungsinstituten in der Schweiz und im Liechtenstein. Infos, Workshops & Shopping: myescapebox.ch
- Die Rolle von Lehrpersonen beim selbstgesteuerten Lernen
Die Lehrperson übernimmt in Selbstlernarchitekturen die Rolle der stärkenorientierten und begabungsfördernden Lernberatung und Lernbegleitung. Dabei unterscheidet sich die fachliche und überfachliche Lernbegleitung. Während es bei der fachlichen Lernbegleitung vor allem darum geht, fachliche Fragen zu klären, konzentriert sich die überfachliche Lernbegleitung auf die individuellen Lernwege und Lernhaltungen von Lernenden. Um Lern- und Denkwege sichtbar zu machen, sind Lernjournale zur Reflexion und Portfolios zur Dokumentation des eigenen Lernens essentiell. Die Lernreflexion, also das Nachdenken über das eigene Lernen (Metakognition) und das Sprechen darüber (Metakommunikation) fällt den Lernenden anfangs schwer. Hier helfen einige anregende Fragen (vgl. Müller-Oppliger 2014, S. 123ff): «Was ist mir besonders gut gelungen?» «Worauf bin ich stolz?» «Wie habe ich die Aufgabe angefangen?» «Hat sich das bewährt?» «Womit bin ich noch nicht zufrieden?» «Was macht mir Mühe?» «Diese Schwierigkeiten und Probleme haben mich beschäftigt …» «So habe ich sie gelöst …» «Wenn ich diese Aufgabe nochmals bearbeiten würde, würde ich anders machen, …» «Ich habe gelernt, dass …» «Wo habe ich Mut gebraucht?» «Was habe ich mir kurz vor dem "Mut-Anfall" gesagt oder vorgestellt?» Besonders aufschlussreich sind Fragen nach dem «Wie» und «Warum». Die Antworten verraten viel über die Denkweise der Lernenden. Lernbegleitung in der Zone der nächsten Entwicklung Lernjournale und Portfolios bieten eine wichtige Basis für Lerngespräche und die beratende und unterstützende Lernbegleitung in der «Zone ihrer nächsten Entwicklung» (Vygotski 1978). Die Zone der nächsten Entwicklung bezeichnet die Distanz zwischen dem momentanen Entwicklungsstand der eigenen Problemlösefähigkeit und der potenziellen Entwicklung dieser Problemlösefähigkeit, die mithilfe eines Erwachsenen oder im Peer-Learning erreicht werden kann (Tudge 1990). Um diese Zone individuell zu erkennen und mit Fragen und Impulsen im Sinn von «higher Order questions» anzuregen und herauszufordern, braucht es hohe Leistungserwartungen, einen problemlöseorientierten, klar strukturierten Unterricht, die Balance zwischen Zu-Mutung und Zu-Trauen und eine systematische Beobachtung. Die Qualität offener Lernsituationen hängt zudem eng mit der Persönlichkeit der Lehrperson, ihren Kompetenzen und ihren Handlungsmustern zusammen. Persönlichkeitsmerkmale wie Neugierde, Sensibilität, Reflexionsfähigkeit sind in diesem Zusammenhang förderlich. Begabungfördernde Haltung von Lehrpersonen Die Qualität offener Lernsituationen hängt zudem eng mit der Persönlichkeit der Lehrperson, ihren Kompetenzen und ihren Handlungsmustern zusammen (Lipowsky 2002, S. 146). Persönlichkeitsmerkmale wie Neugierde, Sensibilität, Reflexionsfähigkeit sind in diesem Zusammenhang förderlich. Lepper, Drake und O‘Donnell-Johnson (1997, S. 130) haben die vielfältigen Kompetenzen einer Lehrperson in ihrem INSPIRE-Modell zusammengefasst: I intelligent Die Lehrkraft verfügt über ein grosses fachwissenschaftliches, (fach-)didaktisches und pädagogisch-psychologisches Wissen, um den Schülerinnen und Schülern vielfältige, auf subjektive Fragen zugeschnittene Hilfestellungen bieten zu können und sie zum Weiterlernen zu motivieren. N nahrhaft Die Lehrkraft vermag ein positives emotionales Klima zu schaffen, zeigt Interesse an Fragen und traut den Lernenden Fortschritte zu. Ein gutes Verhältnis zwischen der Lerngruppe und der Lehrkraft ist die Grundlage dafür, dass Unterstützungen angenommen werden können. S sokratisch Die Lehrkraft versteht es, die Schülerinnen und Schüler zu aktivieren wie einst Sokrates seine Gesprächspartner. Sie versteht es, durch offene Fragen zum Nachdenken und zur Lösungssuche zu aktivieren, indem sie Denkanstösse bereithält. Sie gibt selten direkte Hinweise und Erklärungen. P progressiv Die Lehrkraft versucht, die Anforderungen im Bereich der sogenannten Zone der nächsten Entwicklung (Vygotskij) anzusiedeln. Sie steigert sukzessiv die Anforderungen, sodass die Schülerinnen und Schüler diese gerade noch erfolgreich meistern können. I indirekt Die Lehrkraft gibt selten negatives Feedback, sondern nutzt Fehler als Ausgangspunkt für weiteres Lernen. Aufgaben werden als herausfordernd deklariert, sodass die Schülerinnen und Schüler Erfolge sich selbst (internale Attribuierung) zuschreiben, Fehler hingegen eher äusseren Faktoren (externale Attribuierung) und sich so als selbstwirksam erfahren können. R reflexiv Die Lehrkraft nutzt den Austausch mit den Schülerinnen und Schülern, um durch Nachfragen sichtbar zu machen, ob sie die Aufgabe verstanden haben und das erarbeitete Wissen eventuell bereits auf andere Herausforderungen transferieren können. Sie reflektiert gemeinsam mit ihnen die Lösungsprozesse, initiiert Selbsterklärungen, modelliert und initiiert Strategien. E ermutigend Die Lehrkraft fördert die Selbstwirksamkeit, indem sie die Schülerinnen und Schüler herausfordert und ihnen aufzeigt, was sie bereits leisten können. Sie motiviert durch aktives Fördern von Neugier, Selbstvertrauen und Selbstkontrolle. Quellen Müller-Oppliger, V. (2014): Selbstlernarchitekturen zu selbstgesteuerter Begabungsförderung. In: Weigand, G., Victor Müller-Oppliger, V.; Hackl, A.; Schmid, G.(Hrsg). Personorientierte Begabungsförderung. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. S. 115-127. Lipowsky, F. (2002): Qualität offener Lernsituationen im Spiegel empirischer Forschungen. Auf die Mikroebene kommt es an. In: Drews, Ursula (Hrsg.); Wallrabenstein, Wulf (Hrsg.): Freiarbeit in der Grundschule. Offener Unterricht in Theorie, Forschung und Praxis. Frankfurt am Main: Grundsch.-Verb. - Arbeitskreis Grundsch. S. 126-159 Lepper, M. R., Drake, M. F. & O’Donnell-Johnson, T. (1997). Scaffolding Techniques of Expert Human Tutors. In K. Hogan & M. Pressley (Hrsg.), Scaffolding student learning: Instructional approaches and issues (S. 108–144). Cambridge MA: Brookline Books.
- Masterstudiengang MAS IBBF & Zertifikatslehrgang CAS IBBF FHNW
Weiterbildung für Lehrpersonen aller Zyklen, Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, Schulleitungen, Schulpsychologinnen und -psychologen, Schulbehörden und Fachpersonen spezieller Förderung. Das Konzept des begleiteten Online-Lernens, verbunden mit Präsenzveranstaltungen, schafft berufstätigen Personen eine zeitlich flexible und anerkannte Weiterbildungsplattform. Alle Studienleistungen werden mit Credits des European Credit Transfer System bestätigt. Alle Master-Module sind auch einzeln absolvierbar. MAS Integrierte Begabungs- und Begabtenförderung IBBF FHNW CAS Integrierte Begabungs- und Begabtenförderung IBBF FHNW Module MAS Integrierte Begabungs- und Begabtenförderung IBBF (Blended Learning) Der berufsbegleitende Weiterbildungsmaster (Master of Advanced Studies, MAS), der von den Pädagogischen Hochschulen der Nordwestschweiz und der Zentralschweiz in Kooperation durchgeführt wird, ermöglicht Lehrpersonen, Schulleiter/innen und Schulbehörden aller Schulstufen, diesen erfolgversprechenden Ansatz in Unterricht, Schulorganisation und -verwaltung professionell und auf aktuellstem Wissensstand der Unterrichtsforschung umzusetzen. Der Lehrgang richtet sich an im Lehrberuftätige Lehrpersonen aller Schulstufen ebenso wie an schulische Heilpädagoginnen und weitere Fach- und Leitungspersonen mit beruflichen Funktionen im Bereich der Begabungsförderung. Er qualifiziert die Studienteilnehmenden zu Fachexperten/innen der Begabungs- und Begabtenförderung durch zusätzliche methodische und didaktische Kompetenzen zur Leistungsheterogenität. Darüber hinaus befähigt der Studiengang zur Entwicklung, Leitung und Evaluation von Schulprogrammen zur Begabungsförderung, zur pädagogischen Diagnostik von Begabungspotenzialen sowie zur Beratung und Unterstützung von Lehrpersonen, Eltern, Schulbehörden und Schulpsychologen. Als moderner Hochschulabschluss stellt der MAS eine Weiterbildungsmöglichkeit für Lehrpersonen dar, die in ihrem Berufsfeld (eigene Schule, Schulgemeinde, Region oder Kanton) entsprechende Aufgaben und Funktionen als anerkannte Experten/innen der allgemeinen Begabungs- und Begabtenförderung oder der Hochbegabtenförderung übernehmen. Der Masterstudiengang (Master of Arts, MA) ermöglicht Lehrpersonen, sich im Berufsfeld weiterzuqualifizieren und weitere Funktionen in der Schulentwicklung oder Schulverwaltung, -leitung oder der Unterrichtsforschung zu übernehmen. Der an den MAS anschliessende Master-Abschluss (Master of Arts) kann als Basis zur universitären Weiterqualifikation im Fachbereich dienen. Abschlüsse Master of Advanced Studies zur Begabungs- und Begabtenförderung (MAS) (60 ECTS)Master of Arts (MA) in Gifted Education and Talent Development der PH FHNW in Kooperation mit der University of Connecticut, USA oder den Pädagogischen Hochschulen Karlsruhe oder KPH Wien/Krems (120 ECTS). Jedes Modul wird mit einem Leistungsnachweis abgeschlossen. CAS Integrative Begabungs- und Begabtenförderung IBBF (Blended Learning) Der berufsbegleitende Zertifikatslehrgang (Certificate of Advanced Studies, CAS) der Pädagogischen Hochschule qualifiziert Lehrpersonen, Schulleiter/innen und Schulbehörden aller Schulstufen, begabungsförderndes und potenzialorientiertes Lernen in Unterricht, Schulorganisation und -verwaltung professionell und auf aktuellstem Wissensstand der Schulforschung umzusetzen. Der Lehrgang richtet sich an im Lehrberuf tätige Lehrpersonen aller Schulstufen ebenso wie an schulische Heilpädagoginnen und weitere Fach- und Leitungspersonen mit beruflichen Funktionen im Bereich der Begabungsförderung. Er vermittelt erweiterte pädagogische Kompetenzen zur spezifischen Förderung überdurchschnittlich begabter Kinder und Jugendlicher und für die Mitwirkung in Förderprogrammen der eigenen Schule oder des eigenen Schulverbundes. Das Zertifikatsstudium ist eine berufsbegleitende Weiterbildungsmöglichkeit für Lehrpersonen, die in ihrem Berufsfeld (eigener Unterricht, Schule, Schulgemeinde), entsprechende Aufgaben und Funktionen als anerkannte Fachspezialist/in in der Begabungs-/Begabtenförderung und der Hochbegabtenförderung übernehmen. Der Zertifikatslehrgang dauert ein Jahr und umfasst drei E-Learning-Module, drei Präsenzblöcke (zu eineinhalb Tagen) pro Semester und alle zwei Monate ein Treffen in einer regionalen Erfahrungs- und Reflexionsgruppe. Das CAS gilt gleichzeitig als 1. Teil eines allfällig darauf aufbauenden Weiterbildungsmasters (MAS). Abschluss Certificate of Advances Studies in Begabungs- und Begabtenförderung (CAS) der PH FHNW (15 ECTS). Jedes einzelne Modul wird mit einem Leistungsnachweis abgeschlossen. Module Der Zertifikatslehrgang «CAS Integrierte Begabungs- und Begabtenförderung IBBF» umfasst die ersten drei Module. Alle Module – ausser Modul 10 – sind auch einzeln buchbar. Online-Modul M1 // Grundlagen der Begabungs- und Begabtenförderung Erkennen von Begabungen (auch verdeckten); Identifikation; pädagogische Diagnostik Intelligenz und Begabung in Bezug auf schulische Leistungen Begabungen fördern mit «Schoolwide Enrichment» Online-Modul M2 // Spezielle Methoden und Didaktik der Begabungs- und Begabtenförderung Unterrichtsformen, Methoden und Konzepte integrativer und personalisierter Förderung Begabungsfördernde Lernarrangements für leistungsheterogene Lerngruppen Person orientierte Begabungs- und Begabtenförderung Online-Modul M3 // Kreativität in Lernprozessen erkennen und ermöglichen Entwickeln von hohen kognitiven Fähigkeiten, Problemlösestrategien und divergentem Denken Innovative Denkprozesse in offenen Lernwegen; neue Ideen generieren, alternative Perspektiven einnehmen und innovative Lösungsansätze entwickeln Kreatives und eigenständiges Denken innovieren Kreative Leistungen angemessen bewerten Online-Modul M4 // Entwicklung und Umsetzung schulischer Förderprogramme Schulspezifische, regionale und (inter)nationale Modelle inklusiver Begabtenförderung Personalisiertes Lernen, Lerncoaching, Mentoring Begabungsdifferenzierende Lernarrangements Entwicklung und Beispiele von Schulkonzepten inklusiver Begabungsförderung Online-Modul M5 // Soziale und emotionale Aspekte und Phänomene der Hochbegabung Begabungsentwicklung in sozialen Kontexten Übergänge zwischen Begabung und Behinderung, Twice-Exceptionals Schulischer «Misfit», Minderleistung, Perfektionismus, Anpassung und Verweigerung Fehlentwicklungen und deren Auswirkungen Online-Modul M6 // Forschung und Evaluation zur Begabungsförderung Grundlagen zu Forschung und Evaluation, wissenschaftliches Arbeiten Evaluationen und Forschung zur Begabtenförderung Methodenkompetenz für eigene Projekte Online-Modul M7 // Begabungsspezifische Beratung und Begleitung (Wahlmodul) Coaching und Beratung zur Begabungsförderung Beratung von Kindern und Jugendlichen, Eltern, Lehrpersonen, Behörden Prozessbegleitung und Mentoringkonzepte Online-Modul M8 // Pädagogische Professionalität und Schulentwicklung; Projektmanagement (Wahlmodul) Unterrichts- und Schulentwicklungen zu Heterogenität und Inklusion Schulentwicklungen initiieren, entwickeln und begleiten Online-Modul M9 // Identifikation von Potenzialen und pädagogische Diagnostik der Begabtenförderung (Wahlmodul) Erkennen von Begabungspotenzialen Methoden der Identifikation und Diagnose Förderdiagnostik und Entwicklungsbegleitung Interpretation vo n Testergebnissen und Umgang mit Gutachten Online-Modul 10 // Masterkolloquien und Masterdefensio (Online-Modul) Umsetzung eines eigenen Projekts zur Begabungs-/Begabtenförderung mit berufspraktischer Relevanz. Vorbereitung und Begleitung MAS Abschlussarbeit Download Broschüre Weiterführende Informationen und Anmeldung Salomé Müller-Oppliger +41 61 228 60 49 (Direkt) salome.mueller@fhnw.ch
- Die Konzeption einer Selbstlernarchitektur
Damit das selbstgesteuerte Lernen in offenen Lernumgebungen gelingt und vor allem nachhaltig ist, braucht es eine gute «Lernarchitektur». «Als „Lernarchitektur“ (Forneck 2006, S. 52) wird ein didaktisches Setting verstanden, in dem Lernende in gegebenen oder offenen Themenbereichen weitgehend in eigener Verantwortung, im eigenen Tempo und selbstgesteuert lernen können» (Müller-Oppliger 2014, S. 118). Die Kunst einer guten Lernarchitektur ist die Balance zwischen Offenheit und Struktur. Zuviel Offenheit kann überfordern, zu viel Struktur unterfordern oder einengen. Es braucht lösungsoffene Aufgaben, die forschendes Lernen aktivieren, Möglichkeiten für ein gemeinsames Nachdenken und Weiterdenken (kooperatives Lernen) sowie inhaltliche Strukturierung. Selbstlernarchitekturen rücken Lernende ins Zentrum ihres eigenen Lernens: Schülerinnen und Schüler setzen sich eigene Ziele und überprüfen diese auf ihre Umsetzbarkeit (Reflexion der Ziele), sie planen ihre Arbeitsprozesse, überwachen und steuern diese (Reflexion der eigenen Arbeitsprozesse) und üben die Fähigkeit, ihre eigenen Ergebnisse einzuschätzen und zu bewerten. (u.a. Bandura 1997; Kapp 1993 in: Lipowsky 1999). Leitfragen für die Konzeption von Selbstlernarchitekturen Für die Konzeption von Selbstlernarchitekturen eignen sich folgende Leitfragen (vgl. Müller-Oppliger 2014, S. 119ff): Was lädt zum aktiv-forschenden Lernen ein? Erforderlich sind ergebnis-offene Aufgabenstellungen und Problemstellungen zum Thema oder zu einem Teilthema. Womit kann ein Wissensaufbau erfolgen? Das erforderliche Material wird didaktisch aufbereitet den Lernenden zur Verfügung gestellt. Wer unterstützt das Lernen? Dazu zählen Lernmöglichkeiten, die zum kooperativen Lernen und Diskutieren in der Lerngruppe ermuntern. Wo stehen Supportmöglichkeiten zur Verfügung? Supportmöglichkeiten sind weiterführende Informationen, Peer-Coaching, Lernberatung und -begleitung etc. Wie erfolgt die Dokumentation, Kommunikation und Bewertung der Lernenden? Lernende sind aufgefordert, ihre Lernwege, Lernerkenntnisse, Lernreflexionen in Lernjournalen, Portfolios, Forscherheften oder ähnlichem festzuhalten. Eine wichtige Auseinandersetzung ist auch mit dem Bewertungssystem von individualisierten Leistungen erforderlich. Wann findet die Lernbegleitung statt? Wie und zu welchen Anlässen finden Lerndialoge, Lernberatung und Lernreflexion statt? Wozu findet das Lernen statt? Das Lernen muss mit einem Eigensinn verbunden sein, damit es nachhaltig verankert ist. Lernende müssen die Möglichkeit und Freiheit haben, ihre eigene Sinnhaftigkeit im Thema zu definieren und an ihr Vorwissen anzuknüpfen. Quellen Müller-Oppliger, V. (2014): Selbstlernarchitekturen zu selbstgesteuerter Begabungsförderung. In: Weigand, G., Victor Müller-Oppliger, V.; Hackl, A.; Schmid, G.(Hrsg). Personorientierte Begabungsförderung. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. S. 115-127. Forneck, H., Springer, A. (2005): Gestaltung von Selbstlernarchitekturen - Eine integrative Konzeption für selbstgesteuertes Lernen. In: Dietrich, S. (Hrsg.) (2005): Support für neue Lehr- und Lernkulturen. Bielefeld: Bertelsmann. S. 133-153.
- Pädagogische Diagnostik: Beobachtungsraster und Fragebogen
Die Pädagogische Diagnostik gehört zu den zentralen Aufgabe einer Lehrperson. Sie umfasst das spezifische und gezielte Beobachten von Lernenden (mit oder ohne Beobachtungsinstrumente), das Erfassen individueller Leistungen und das Analysieren von Lernergebnissen. Gerne stellen wir Materialien und Unterlagen für die pädagogische Diagnostik zur Verfügung, von denen wir hoffen, dass sie für die eigene Unterrichts- und Schulentwicklung dienlich sein mögen. Bitte nutzen Sie alles, was Sie brauchen können. Dabei bauen wir auf den beruflichen Ehrenkodex, dass Sie bei der Verwendung die Quellen und Urheberschaft angeben. Einige standardisierte Verfahren wie SELLMO, SESSKO, FEESS und FLM, die sich eignen für die Abklärung von motivationalen Aspekten, schulischen Einstellungen, Lernblockaden, Ängsten etc. können unter Testzentrale hogrefe.ch bestellt werden. Geeignet sind zum Beispiel: SELLMO : Skalen zur Erfassung der Lern- und Leistungsmotivation SESSKO : Skalen zur Erfassung des schulischen Selbstkonzepts FEESS 3-4 : Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern dritter und vierter Klassen FEESS 1-2 : Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern erster und zweiter Klassen FLM 4-6 : Fragebogen zur Leistungsmotivation für Schüler der 4. bis 6. Klasse LEBB: Lehrerfragebogen zur Erkennung besonderen Begabungen bei Schülerinnen und Schülern - Sekundarstufe - von Klaus K. Urban, klausur-verlag. Lehrerfragebogen zur Erkennung von SchülerInnen mit besonderen Begabungen (Grundschule) von Klaus K. Urban, klausur-verlag. FEBB-KiK: Fragebogen zur Erkennung von besonderen Begabungen bei Kindern im Kindergartenalter von Klaus K. Urban, klausur-verlag. TSD-Z: Test zum Schöpferischen Denken--Zeichnerisch von K.K. Urban und H. G. Jellen Beobachtungsbogen und Fragebogen zur direkten Anwendung für die pädagogische Diagnostik Beobachtungsbogen zur Identifikation von (Hoch-)Begabung Fragebogen Stärken nach Gardner Fragebogen nach Interessenfrage Fragebogen zu Lernstil und Unterrichtsstil Fragebogen zu Underachievement Fragebogen zu Hypersensibilität Literatur zum Thema Beobachtungsbogen zur Identifikation von (Hoch-) Begabung Beobachtungsbogen von Verhaltensmerkmalen für Lehrpersonen (Identifikation HB) Beobachtungsbogen für Eltern (Identifikation HB) mit Anleitung für die Lehrperson Beobachtungsbogen für Eltern (Identifikation HB) ohne Anleitung für die Lehrperson Erkennungsmerkmale, Identifikation HB: Woran werden besonders begabte Schülerinnen und Schüler erkannt? Fragebogen für Kinder & Jugendliche (Selbsteinschaetzung, Identifikation HB) Fragebogen Stärken basierend auf Gardners Multiplen Intelligenzen Fragebogen Selbsteinschätzung Stärken nach Gardner in der Primarstufe Fragebogen Selbsteinschätzung Stärken nach Gardner in der Sekundarstufe Fragebogen nach Interessen Interessenfragebogen nach Renzulli/Reis/Stedtnitz Interessenfragebogen für den Kindergarten und die 1. Klasse (Schulpraxis 2012) Interest-a-Lyzer Primarschule zur Identifikation von HB-Interessen (von Renzulli/Rizza, übersetzt von Salomé Müller-Oppliger) Fragebogen zu Lernstil und Unterrichtsstil Learning Style Analysis Junior Mini für 5- bis 10-jährige Schüler Learning Style Analysis für Teenager Learning Style Analysis für Studenten Unterrichtsstil-Inventar USI (Renzulli) Gutachten Beispiel zu Interessen, Lern- und Unterrichtsstil (von Stephanie Schmitt-Bosselet) Fragebogen zu Underachievement Underachievement: Wie gut spiele ich das Schule-Spiel? Merkmale zur Identifizierung von begabten Minderleistern (Joanne R. Whitmore, 1980) Fragebogen zu Hypersensibilität Fragebogen zu hohem Empfindungsvermögen; Hypersensibilität Literatur zum Thema Pädagogische Diagnostik Begabungs- und Begabtenförderung: Potenziale entdecken-fördern-realisieren. Pädagogische Diagnostik als ganzheitliches Abklärungsverfahren (Reader) (Salomé Müller-Oppliger) Begabungsdiagnostik durch Screening - eine Falldarstellung (Salomé Müller-Oppliger) Pädagogische Diagnostik (Salomé Müller-Oppliger im Handbuch Begabung) Wir hoffen, dass Ihnen die Materialien von Nutzen sind und freuen uns über Rückmeldungen, Rückfragen oder neue Bedürfnisse bei denen wir hilfreich sein könnten.
- Didaktische Gestaltung von Selbstlernarchitekturen
In einer Selbstlernarchitektur liegen alle Materialien didaktisch aufbereitet als «Lernmaterialien» vor. Sie bieten verschiedene Zugänge (Müller-Oppliger 2014, S. 119) und ermöglichen eine Auseinandersetzung mit einem Thema auf unterschiedlichen Niveaus. Der Einstieg in die Selbstlernarchitektur gelingt mit einer Inszenierung. Diese schafft den Anreiz, sich vertiefter mit der Aufgabe oder der Problemstellung auseinanderzusetzen. Zudem schafft sie Orientierung, damit sich Lernende in der Selbstlernarchitektur zurechtfinden (Forneck, Springer 2006, S. 137ff). ESP Der Einstiegspunkt führt ins Thema ein und liefern eine Übersicht zur Orientierung. Er ist meistens auf rund zwei A4-Seiten zusammengefasst und ermöglicht den Lernenden, bereits zum Einstieg einen Sinn- und/oder Lebensbezug zur Lernthematik herzustellen. LA Die Lernaufgaben knüpfen an den Einstiegspunkt an und umfassen Aufträge, Denkimpulse, interessante Fragen oder Problemstellungen, die zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema anregen. Die Aufgaben lassen sich auf stärkenorientiert und begabungsfördernd auf unterschiedlichen Niveaus lösen. Sie fördern die Methodenkompetenz, Lerntechniken und die Selbstreflexion: Lernende werden zum eigenen Planen, Umsetzen und Reflektieren ihres Lernprozesses aufgefordert (vgl. Müller-Oppliger 2014, S.120). Gute Lernaufgaben (nach Reusser 2013) eröffnen Zugänge und ermöglichen Tiefe des Wissens und Denkens wecken Neugier und motivieren laden zu tiefem Verstehen und Problemlösen – und zum Austausch darüber ein sind auf unterschiedlichen Niveaus lösbar trainieren fachliche und überfachliche Kompetenzen bieten Raum für Mitbestimmung und Mitgestaltung LWE und LP Lernwegempfehlungen (LWE) (Forneck 2006, S. 112) zeigen mögliche Lernpraktiken (LP) auf, indem sie einen Vorschlag zur Bearbeitung liefern. Lernende sind frei, dieser Empfehlung zu folgen oder begründet eigene Wege zu wählen. So zeigen sich eigene Denk- und Lernwege. Lernpraktiken sind erforderlich, um passives «träges Wissen» (Renke 1996; Green et al. 1997) in Performanz zu transformieren (Müller-Oppliger 2014, S. 120). MAT Das Material umfasst alle didaktisch aufbereiteten Lernmaterialien zum Thema, damit ein Wissensaufbau erfolgen kann. Das Material kann unterteilt werden in Pflichtlektüre/Pflichtmaterial und freiwilliges Vertiefungsmaterial. Die Vielfältigkeit der Materialien bietet unterschiedliche Zugänge. Es ist auch möglich, Material zum Beispiel lernstiltyp-gerecht oder nach Gardners Multiplen Intelligenzen zu strukturieren, um einen rascheren Einstieg zu ermöglichen. Mögliche weitere Materialien: DIS Der Diskurs oder die Diskussion liefern Werte, Sinnfragen, Anwendung oder auch Haltungen und die Bedeutung des Themas (Müller-Oppliger 2014, S. 126) ÜST ÜST sind Übersichtsartikel, die speziell zum Thema verfasst werden. Sie fassen alle wichtigen Informationen zum Thema zusammen. Mittels Übersichtsartikel wird das zuvor erworbene Wissen theoretisch fundiert. DEF In den Definitionen sind die Fachbegriffe erklärt. Selbstlernarchitektur-Beispiel aus dem CAS/MAS Integrierte Begabungs- und Begabtenförderung (IBBF) FHNW Lernarchitektur im Modul 2: «Spezielle Methoden und Didaktik der Begabungs- und Begabtenförderung (BBF)», Thema «R07 Stärkenorientierung und Entwicklungsportfolio Der Einstiegspunkt M2_ESP_R07 liefert eine Übersicht über die wichtigsten Eckpunkte des Themas und bietet den Studierenden dadurch Orientierung. Im Dokument M2_LA_R07 sind verschiedene Lernaufgaben zur Auswahl formuliert. Eine integrierte LWE Lernwegempfehlung liefert eine unverbindliche Lernplanung. Im Ordern M2_MAT_R07 sind Pflichtlektüren und freiwilliges Vertiefungsmaterial zu finden. Quellen: Müller-Oppliger, V. (2014): Selbstlernarchitekturen zu selbstgesteuerter Begabungsförderung. In: Weigand, G., Victor Müller-Oppliger, V.; Hackl, A.; Schmid, G.(Hrsg). Personorientierte Begabungsförderung. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Weinheim, Basel: Beltz Verlag. S. 115-127. Forneck, H., Springer, A. (2005): Gestaltung von Selbstlernarchitekturen - Eine integrative Konzeption für selbstgesteuertes Lernen. In: Dietrich, S. (Hrsg.) (2005): Support für neue Lehr- und Lernkulturen. Bielefeld: Bertelsmann. S. 133-153.
- Taxonomien des Lernens – «Von MOTS zu HOTS»
In der Lerntheorie können die Lernziele und auch Lernprozesse entsprechend ihrer Anforderungen an die Lernenden in verschiedene Taxonomiestufen eingeordnet werden. Weltweit am bekanntesten sind für den kognitiven Bereich die von Benjamin Bloom beschriebenen sechs Lernzielstufen. Es sind aber auch – und dies wird oft wenig wahrgenommen – Taxonomiestufen für den affektiven und den psychomotorischen Bereich entwickelt worden, die für die Orientierung von Lernprozessen von Bedeutung sein können. 1956 entwickelte Benjamin Bloom mit seiner Gruppe von Erziehungswissenschafter/innen die Klassifikation kognitiver Lernstufen. Dabei wird unterstellt, dass höhere Lernstufen auf den darunterliegenden aufbauen und effektives höheres Lernen nicht gegeben ist, wenn die basalen Fähigkeiten der unteren Stufen nicht gewährleistet sind. Klassische kognitive Taxonomie nach Bloom, Anderson & Krathwohl Begabungs-/Begabtenförderung bedeutet im kognitiven Zusammenhang das Durchschreiten der Bloom’schen Taxonomiestufen. Und gerade die vertiefte Auseinandersetzung (Hoch-)Begabter mit Lerninhalten erfordern anspruchsvolle Aufgabenstellungen und Diskussionen auf den oberen Abstraktionsebenen des Denkens und Beurteilens. Abb.: Kognitive Taxonomien (nach Bloom 1956) Stufe 1 Wissen/Kennen Lernende kennen konkrete Einzelheiten (Begriffe, Definitionen, Fakten, Daten, Regeln, Gesetzmäßigkeiten, Theorien, Merkmalen, Kriterien, Abläufe; sie können Wissen abrufen und wiedergeben. Stufe 2: Verstehen Lernende können Sachverhalte in eigenen Worten erklären oder zusammenfassen und können Beispiele anführen; sie verstehen Zusammenhänge. Stufe 3: Anwenden Lernende können Wissen transferieren und auf neue Situationen übertragen. Stufe 4: Analyse Lernende erkennen Widersprüche und Zusammenhänge; sie können Folgerungen ableiten. Stufe 5: Synthese Lernende können Lösungswege vorschlagen, eigene Schemata entwickeln oder begründete Hypothesen entwerfen. Eigenes Wissenskonzept. Stufe 6: Evaluation Lernende können Alternativen abwägen und auswählen, Entschlüsse fassen und begründen, Transfer des Wissens in komplexe Situationen, Beurteilen von Situationen und Effekten/(Aus-)Wirkungen. Neue Taxonomie im der kognitiven Domäne In den 90er Jahren hat eine neue Gruppe von Kognitionspsychologen unter der Leitung von Lorin Anderson, einer früheren Studentin von Bloom in Zusammenarbeit mit Krathwohl das Modell überarbeitet und an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts angepasst. Dabei ist zu beachten, dass von (eher statischen) Substantiven zu Verben (also Aktionen) gewechselt wurde, womit ein Übergang zum Erlangen von Kompetenzen und Performanz (Handlungskompetenz) geschaffen wird. Abb.: Revidierte Taxonomy der kognitiven Domäne (Anderson and Krathwohl 2000) Stufe 1 Erinnern / Wissen Können Lernende Informationen wiederholen oder erinnern? Stufe 2 Verstehen / Bedeutung Erfassen Können Lernende Ideen oder Konzepte erklären? Stufe 3 Anwenden / Nutzen Können Lernende Informationen in einer neuen Situation nutzen? Stufe 4 Analysieren / In den Zusammenhängen erfassen Können Lernende unterscheiden zwischen differenten Teilen/Aspekten? Stufe 5 Evaluieren / Beurteilen, bewerten können Können Lernende eine Position oder Entscheidung beurteilen und bewerten? Stufe 6 Kreieren / Neues schaffen innerhalb einer Domäne Können Lernende ein neues Produkt oder eine neue Sichtweise schaffen (generieren)? Die Vermittlung von Higher Order Thinking Skills gilt seit Jahrzehnten zum bewährten pädagogischen Standard der Begabtenförderung. Sie finden ihre Entsprechung in der Formulierung anspruchsvoller Lernaufgaben, in der Diskussion von Lerninhalten und deren Bedeutung, aber auch in der Gestaltung von Prüfungsaufgaben und Kompetenznachweisen, in denen Lernende sowohl deklaratives Faktenwissen, kognitives Verstehen, aber auch prozedurales Kombinationswissen sowie Fähigkeiten der Übertragung, Anwendung oder eigener kreativer Umsetzung des Gelernten zeigen sollen. Taxonomie im psycho-motorischen Lernen Eine überzeugende Taxonomie von Dave (1975) strukturiert die Entwicklung von künstlerischen, handwerklichen oder sportlichen (Hoch-)Leistungen vom Nachmachen und Imitieren (etwa von Bewegungsfolgen, im Tanz, in der Musik, im künstlerisch gestaltenden Bereich, usw.) bis zur Perfektion und Verinnerlichung. Das Modell korrespondiert mit demjenigen zur Entwicklung von Skills von Reynolds (1965) und Bezug nimmt zu den grundlegenden Faktoren der Imitation im Erwerb von Handlungsweisen. Abb.: Taxonomien nach Dave 1970 Stufe 1: Imitation/Nachmachen: (Nachahmung z. B. von Bewegungs- oder Handlungsabläufen) Stufe 2: Manipulation/Technik (Umsetzen von Instruktionen, Festigung von Techniken) Stufe 3: Präzision/Verfeinern (Genauigkeit beim Üben der Abläufe und Techniken) Stufe 4: Ausdifferenzierung/Struktur, Ordnung (Differenziertes Ausgestalten, Strukturen und Ordnung erkennen und interpretieren) Stufe 5: Naturalisierung/Authentizität (Internalisierung der Abläufe; Personalisierung und Profilierung; Ablösung vom Modell) Aus der Sicht der Expertiseforschung ist dazu anzumerken, dass zur Ausgestaltung von Exzellenz rund 10'000 Stunden an Übung (Gladwell 2008) sowie eine zielgerichtete «Deliberate Pracitice» erforderlich sind (Ziegler 2008). Unter «Deliberate Practice» wird eine dem jeweilig aktuellen Fähigkeitsstand angepasste und dabei herausfordernde (leicht über dem mühelos Erreichbaren) Übungsphase verstanden. Für eine gezielte Begabtenförderung ergibt sich die Notwendigkeit, Übungsaufgaben auf dem jeweiligen Leistungsstand der Lernenden hin zu individualisieren. Ansätze, dies im Schulunterricht zu erreichen sind das Erfassen individueller Leistungsstände in Standortüberprüfungen, Portfolios und Lernjournale sowie in Lernberatungsgespräche und durch differenzierte Zielvereinbarungen mit den Schüler/innen. Taxonomie im affektiven Bereich Dem affektiven Bereich wird im schulischen Lernen oft wenig Aufmerksamkeit gezollt. Er handelt vom Aufbau von Werthaltungen und erstreckt sich von der Stufe des Erlebens wertegeleiteter Interaktionen und Handlungen bis zur Entwicklung eigener reflektierter Werthaltungen. Abb.: Affektive Taxonomien nach Krathwohl, Bloom & Masia 1964 Stufe 1: Aufmerksam/Achtsamkeit Aufmerksamkeit, Beachtung von Werten, Sensibilisierung Stufe 2: Ressonanz/In Beziehung treten Positive Annahme und Akzeptanz von Werten Stufe 3: Evaluation/Reflexion der Werte Emotionaler Bezug; Werte für sinnvoll halten Stufe 4: Aufbau des eigenen Wertesystems Integration von Werten in eine Hierarchie reflektierter eigener Überzeugungen) Stufe 5: Verinnerlichung von Werthaltungen Authentizität, charakteristisches eigenes Wertekonzept Bloom Taxonomien zur Differenzierung in heterogenen Klassen Denkstufen nach Benjamin Bloom - eine Differenzierungsmöglichkeit in heterogenen Klassen Beispiel zu Aufgabendifferenzierung mit den Bloom Taxonomien Literaturnachweis Aus: Müller-Oppliger, V. (2017). Horizonte und Perspektiven der Begabungsförderung . In: Begabungsförderung steigt auf. Begabungsförderung auf der Sekundarstufe I. Hrsg.: Stiftung für hochbegabte Kinder & Mercator Schweiz. Bern: hep-verlag ag.
- Die Multiplen Intelligenzen nach Gardner – nur ein «Neuromythos»?
Bei der Lektüre über die Theorie der Multiplen Intelligenzen (nachfolgend in den Zitaten als «MI» erwähnt) von Howard Gardner, und nach dem äusserst spannenden Input von Dr. Dominik Gyseler zum Thema «Neurowissenschaftliche Grundlagen der Hochbegabung» machte mich ein Satz in den Take-Aways des Abstracts «Abschied vom IQ. Die Rahmen-Theorie der vielfachen Intelligenzen» (Gardner 2005) besonders neugierig: «Jede Intelligenz wird von Prozessen im Gehirn gesteuert und ist dort eindeutig lokalisierbar.» Ist das wirklich so? Wie im Abstract erwähnt, lassen sich Intelligenzforscher in zwei Gruppen einteilen. Während die eine Gruppe von einer generellen Intelligenz ausgehen, glaubt die andere an unabhängige Fähigkeiten. Folglich müsste Kritik am Konzept der Multiplen Intelligenzen vorhanden sein. Nachfolgend nehme ich Bezug auf einen Text von Lynn Waterhouse, der 2023 publiziert wurde. Der Artikel wurde mir auf Nachfrage von Dr. Dominik Gyseler als Fundamentalkritik an der Theorie der Multiplen Intelligenzen empfohlen. Er bestätigte zudem meinen Verdacht, dass Gardner mittlerweile widerlegt wurde. Das Hauptargument, das er dabei nannte, ist, dass die Intelligenzen von Gardner relativ breit angelegt sind. Will man aber mentale Vorgänge an bestimmten Stellen im Gehirn nachweisen, müssen diese sehr eng gefasst sein. Nur dann gibt es sogenannte «neuronale Korrelate», die wiederholt gemessen werden können. (Gyseler per E-Mail, 30.4.24). Die Kritik an seiner Theorie ignorierte Gardner erstmal. «For over a decade, I was content to let MI Theorie take on a life of its own. I had issued an ensemble of ideas (or „memes“) to the world, and I was inclined to let those memes fend for themselves.» (Gardner, 2011, S. 79). Später argumentierte Gardner, dass seine Theorie der Multiplen Intelligenzen auf der persönlichen Lektüre von Forschungsergebnissen aus den unterschiedlichsten Bereichen (Neurowissenschaft, Kognitionswissenschaft, Anthropologie und Evolutionswissenschaft) basiere (Gardner and Moran, 2006, S. 229). Doch das erklärte erst die Vorgehensweise, lieferte jedoch nicht die wissenschaftliche Validierung seiner Theorie. Gardner bat nun die Forscher, seine früheren Publikationen zu lesen, um darin Hinweise für die Gültigkeit seiner Theorie zu finden (Gardner, 2020b). Er erklärte: «there is an entire 400-page book Howard Gardner Under Fire in which I respond to these and other critiques (Shaler, 2006). I would ask that both researchers and educators review these writings and exchanges before connecting the theory that I developed with the provocative, and contentious phrase “neuromyth”» (Gardner, 2020b, S. 3). Schliessilch distanzierte er sich von seiner ursprünglichen Behauptung, dass seine Theorie der Multiplen Intelligenzen auf einer neurologischen Basis beruht. Er erklärte «while brain evidence was cited in my original work, I have never claimed that “MI” is a neurological theory» (Gardner, 2011, S. 3). Damit widerspricht er sich und seinen früheren Publikationen, wie zum Beispiel dass «jede Intelligenz von Prozessen im Gehirn gesteuert wird und dort lokalisierbar ist.» (Gardner, 2005). Zudem wurden bislang keine neurologischen Korrelate der Intelligenzen im Gehirn gefunden (Waterhouse, 2006; Geake, 2008; Dekker et al., 2012; Howard-Jones, 2014; Ruhaak und Cook, 2018; Blanchette Sarrasin et al., 2019; Craig et al., 2021; Rousseau, 2021b). Folglich ist und bleibt die Theorie der Multiplen Intelligenzen nach Gardner ein «Neuromythos», bis Forscher die Gültigkeit von «each of the intelligences has its characteristic neural processes» (Gardner, 2020b, S. 94) belegt haben. Bis diese Beweise gefunden worden sind, gibt es keine Argumente für die Überlegenheit der Theorie der Multiplen Intelligenzen gegenüber anderen Lehrstrategien im Klassenzimmer. Dies untermauern auch die folgenden drei Argumente aus der Fundamentalkritik (vgl. Waterhouse, 2023): Studien haben gezeigt, dass die Intelligenzen nicht unabhängig voneinander funktionieren. Auch wenn viele Lehrpersonen davon überzeugt sind, dass die Lehrstrategien, die auf den Multiplen Intelligenzen basieren, sehr effektiv sind, wurden diese Strategien bislang noch nicht hinreichend untersucht. Entgegen der allgemeinen Überzeugung, dass jede Intelligenz im Gehirn lokalisiert werden kann, haben neurowissenschaftliche Forschungen gezeigt, dass die Multifunktionsnetzwerke, in denen das Gehirn organisiert ist, die Möglichkeit separater neuronaler Netzwerke ausschliessen. Der Artikel spricht noch einige weitere Punkte an, auf die ich an dieser Stelle jedoch nicht näher eingehen möchte. Vielmehr möchte ich an diesem Punkt mit einem persönlichen Fazit abschliessen. Fazit Wer mit Gardners Multiplen Intelligenzen arbeitet, sollte sich bewusst sein, dass es sich nicht um eine wissenschaftliche fundierte und allgemein gültige Theorie handelt – und somit nicht «das Mass aller Dinge» ist. Demgegenüber stehen neurowissenschaftlich getestete und als erfolgreich bestätigte Lehrstrategien. So hat die Forschung gezeigt, dass «Wiederholung das Lernen fördert und dass es einen neuartigen „Schalter“ im Gehirn gibt, der die Verarbeitung von etwas Neuem in der Umgebung verbessert» (Gómez -Ocádiz et al., 2022, in: Waterhouse, 2023, S. 4). Wirkungsvoll ist es auch, wenn eine Lehrperson einer Schülerin oder einem Schüler individuelle Aufmerksamkeit schenkt (Schacter, 2000) und neue Informationen spannend vermittelt werden (Perugini et al., 2012; Leventon et al., 2018). Trotz all der Kritik bieten die Multiplen Intelligenzen vielfältige Orientierungs- und Anknüpfungspunkte für einen stärkeorientierten, begabungsfördernden Unterricht im Sinn von «jedes Kind ist begabt» und «jedes Kind ist anders begabt». Aufgaben, die unter dem Aspekt der Multiplen Intelligenzen vielseitig formuliert werden, ermöglichen eine Lebensnähe für jedes Kind und seine individuelle Begabung. Und damit auch ein persönliches «Wachsen» und «Gedeihen». Essentiell für den Lernerfolg ist jedoch, dass der Einsatz der Multiplen Intelligenzen nur in Verknüpfung mit wissenschaftlich validierten Lehrstrategien erfolgen sollte. Quelle Waterhouse L. (2023) Why multiple intelligences theory is a neuromyth. Front. Psychol. 14:1217288. doi: 10.3389/fpsyg.2023.1217288 https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2023.1217288/full Weitere Literaturhinweise Blanchette Sarrasin, J., Riopel, M., and Masson, S. (2019). Neuromyths and their origin among teachers in Quebec. Mind Brain Educ. 13, 100–109. https://doi:10.1111/mbe.12193 . doi: 10.1111/mbe.12193 Craig, H. L., Wilcox, G., Makarenko, E. M., and Mac Master, F. P. (2021). Continued educational neuromyth belief in pre-and in-service teachers: a call for de-implementation action for school psychologists. Can. J. Sch. Psychol. 36, 127–141. doi: 10.1177/0829573520979605 Dekker, S., Lee, N. C., Howard-Jones, P., and Jolles, J. (2012). Neuromyths in education: review. Front. Psychol. 12:719692. doi: 10.3389/fpsyg.2021.719692 Gómez-Ocádiz, R., Trippa, M., Zhang, C. L., Posani, L., Coco, S., Monasson, R., et al. (2022). A synaptic signal for novelty processing in the hippocampus. Nat. Commun. 13:4122. doi: 10.1038/s41467-022-31775-6 Leventon, J. S., Camacho, G. L., Ramos Rojas, M. D., and Ruedas, A. (2018). Emotional arousal and memory after deep encoding. Acta. Psycholol. 188, 1–8. doi: 10.1016/j.actpsy.2018.05.006 Gardner, H. (2005). Abschied vom IQ. Die Rahmen-Theorie der vielfachen Intelligenzen. 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- Unerkannte Begabungen: Risikogruppen und besondere Förderbedürfnisse
Fremdsprachige | Bildungsferne als Bildungsbenachteiligte | Verleugnung – Furcht vor Vorurteilen | Dysfunktionaler Perfektionismus | Minderleistung – Underachievement | Übererregbarkeit – Overexcitability | Begabung und Behinderung - Twice Exceptional Abb: Risikogruppen & besondere Förderbedürfnisse (Nicole Vontobel, CAS IBBF 2023) 1. Fremdsprachige Zahlreich sind die Beispiele fremdsprachiger Schülerinnen und Schüler, die aufgrund mangelhafter sprachlicher Ausdrucksfähigkeit in ihren kognitiven Begabungen unterschätzt werden. Breit kann denn auch nachgewiesen werden, dass Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer Fremdsprachigkeit von Lehrpersonen vorschnell falsch eingeschätzt werden. Diese Vorurteile beeinflussen die Erwartungshaltung an die Lernenden und oft auch die Bewertung deren Leistungen. Die sprachliche Gewandtheit und ein der jeweiligen Schulkultur entsprechender Soziolekt kann als ein wesentlicher Schlüssel für schulischen Erfolg angesehen werden, weil Sprachverhalten oft irrtümlich als Indikator für kognitive Fähigkeiten gewertet wird (Ditton 2007; Stanat, Rauch & Segeritz 2010). 2. Bildungsferne als Bildungsbenachteiligte Nach wie vor zeigt die Forschung auch in belastender Weise auf, dass Schülerinnen und Schüler aus niedrigen sozialen Bildungsmilieus überdurchschnittlich oft in die unteren Leistungsniveaus der Sekundarschule eingewiesen werden. Niedrige Erwartungshaltung des Elternhauses, oft niedriges schulisches Selbstkonzept, aber auch Effekte der Leistungsbewertung durch Lehrpersonen bewirken offenbar einen sogenannten Mittelschicht-Bias (Hartmann 1990), der dazu führt, dass sozial Benachteiligte durch unser Bildungssystem und tradierte Lernpraktiken prädestiniert sind, zu Bildungs-Verlierern zu werden (Bourdieu 1986; Bourdieu & Passeron 1990; Baumert et al 2001). Dieses breit untersuchte soziale Phänomen untermauert die begründete und ernstzunehmende Kritik am teilweise nicht eingelösten Versprechen der Bildungsgerechtigkeit der bestehenden Schulpraxis. 3. Verleugnung – Furcht vor Vorurteilen Kinder und Jugendliche mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten realisieren schon früh, dass sie teilweise anderes denken als ihre Mitschülerinnen und -schülern. Sie stellen andere Fragen, möchten mehr wissen oder sind hoch motiviert. Dies fällt nicht nur Ihnen auf, sondern auch den Mitschüler/innen und den Lehrpersonen, die darauf unterschiedlich reagieren können. So lösen hohe Begabung und Interesse in der Umgebung bei manchen Menschen Neid oder Angst vor Unterlegenheit aus, während andere diese positiv überhöhen. Von vielen Begabten wird diese Situation als bedrohlich erlebt. Sie möchten gerne ganz normale Sozialkontakte zu ihren Gleichaltrigen pflegen. Aufgrund ihrer Lernfreude und Leistungsbereitschaft riskieren sie aber, als Streber oder als «anders als die anderen» auffällig und ausgegrenzt zu werden (Coleman & Cross 2000). Selbst, wenn kein äusserer Druck besteht, können sie subjektiv ihr Anderssein wahrnehmen und aus Furcht vor Ausgrenzung maladaptive Bewältigungsstrategien der Anpassung an die Gruppe oder Verleugnung der eigenen Fähigkeiten und Interessen entwickeln. Insbesondere Mädchen verstecken ihre Begabungen oft schon sehr früh und scheinen insbesondere im Jugendalter im Dilemma zwischen Hochleistung und Dazugehörigkeit ihre Potenziale und Interessen nicht offen zu zeigen (Reis 2002; Neihart 2006). «Be smart but not too smart», «compete, but be nice» sind Ausdruck dessen, wie überdurchschnittlich begabte Jugendliche die widersprüchlichen Erwartungen ihres sozialen Umfelds beschreiben. 4. Dysfunktionaler Perfektionismus Perfektionismus ist zu unterscheiden in eine gesunde Form des adaptiven Perfektionismus und eine dysfunktionale Form, die Personen, die unter «ungesundem Perfektionsmus» leiden, blockiert. Beiden Formen liegen aussergewöhnlich hohe Leistungsansprüche an sich selbst zugrunde. Beim adaptivem Perfektionismus stellt das Erleben von Freude beim Streben nach exzellenter Leistung und hohen Zielen eine positive Ressource dar. Demgegenüber stellen Personen mit dysfunktionalem Perfektionismus übersteigerte Erwartungen an sich (und an andere), die kaum oder nicht erfüllbar und erdrückend sein können. Sie leiden dann unter einem extrem hohen Leistungsdruck, dem sie sich schliesslich nicht gewachsen fühlen. Weil sie ihr Selbstverständnis an das Erreichen sehr hoher Leistungsziele koppeln, kann sich eine pathologische Angst vor Fehlern, Misserfolg entwickeln. Diese kann sich in Blockaden, im Aufschieben oder Vermeiden von Aufgaben, in mangelnder Erfolgszuversicht und in hohen Versagensängsten äussern und zu einem schwerwiegenden Einbruch des Selbstwerts führen, der die Person letztlich handlungsunfähig macht (Silverman 1999; Schuler 2002; Rimm 2008). 5. Minderleistung – Underachievement Immer wieder finden sich auch Schülerinnen und Schüler mit (teils sehr) hoher Intelligenz in niedrigen Leistungsniveaus der Sekundarschule. Sie erzielen nur mässige oder schlechte Leistungen, wiederholen Klassen oder scheitern ganz an der Schule. Solche Jugendliche, deren Leistung hinter dem zurückbleibt, was sie von ihren Fähigkeiten her zu leisten imstande wären, werden als Minderleister bezeichnet. Gründe für die Diskrepanz zwischen Potenzial und Leistung können einerseits persönliche Einstellungen der Jugendlichen selbst sein (Leistungsängste, Misserfolgsorientierung, geringes Selbstvertrauen, soziale oder emotionale Schwierigkeiten, fehlende Lernstrategien). Sie können aber auch im geringen kulturellen Kapital oder in niedrigen Bildungsansprüchen des Erziehungsmilieus liegen. Andererseits kann Underachievement auch als Folge von Fehlentwicklungen in Lernprozessen, als Folge unzureichender Beachtung der Person und deren Leistungen oder aufgrund geringer Unterstützung in Lernprozessen entstehen (Gorard & Smith 2004; Uhlig et al. 2009, Greiten 2013). Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Entstehung von Minderleistung sind durch ihre Abhängigkeit vom sozialen Umfeld die Beziehungen in der Lerngruppe und zu Lehrpersonen, aber auch die Auswirkungen von zu hohen resp. zu niedrigen Erwartungen und Unterrichtsangebote (VanTassel-Baska & Brown 2007). Wieczerkowski & Prado (1993) formulierten dazu das Modell der «Spirale der Enttäuschungen». Eine offene und weite Definition, die sich am Kriterium nicht umgesetzter Potenziale orientiert, geht von der Hälfte aller (Hoch-)Begabten aus, die als Minderleister bezeichnet werden können (Rimm 2008; Ziegler & Stoeger 2004). An Regressionsmodellen angelehnte Definitionen sprechen von 11 bis 20 % der Schülerinnen und Schüler, die ihre Fähigkeiten nicht in Leistung umsetzten können (Rost 2007; Gyseler 2009). Neben der Definition eines allgemeinen Underachievements ist zu festzustellen, dass Minderleistung auch fachspezifisch auftreten kann, da Begabungen und Leistungen einer Person auch in einzelnen Domänen ausgeprägt sein können (Preckel & Vock 2013, 83; Müller-Oppliger 2011). Insgesamt tritt Minderleistung bei Jungen etwa doppelt so häufig auf wie bei Mädchen (Reis & McCoach 2000). In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass eine breite Literatur zum Zusammenhang von unerkannter Minderleistung und Verhaltensauffälligkeiten in der Schule existiert. 6. Übererregbarkeit – Overexcitability Einige (Hoch-)Begabte weisen, als Folge einer überhöhten Erregbarkeit des Zentralnervensystems eine sehr hohe Sensibilität auf, die sie vieles anders erleben lässt als ihre Altersgenossen. Dabrowski (1964) charakterisiert diese Übererregbarkeit in fünf Erscheinungsformen: psychomotorisch Überschuss an Energie, hoher Aktivitätslevel, Impulsivität, Ruh- und Rastlosigkeit; Redefluss in hohem Tempo, (oft fehldiagnostiziert als ADHS). sensorisch erhöhte Sensibilität im Erleben von Berührungen, Sehen und Hören, Geruch und Geschmack, oft Beeinträchtigung durch überstarke Wahrnehmung von Sinnesreizen oder Unstimmigkeiten (bis körperliche Abstossreaktionen). intellektuell intensiver Drang nach Verstehen und Erkenntnissen, exzessives und unnachgiebiges Fragenstellen, neugierig, oft exzessive Leser, Vorliebe zum «Denken übers Denken» (bis zum Verlieren in Gedanken, das dazu führen kann, dass „der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen wird“), frühe Auseinandersetzung mit Problemen der Erwachsenen und der Welt, oft kritisch im Denken und ungeduldig mit anderen. imaginal überdurchschnittliches Vorstellungsvermögen, hohes konstruktiv-kreatives Potenzial, originelle und lebhafte Jugendliche, teilweises Ausklinken in regelgeleitetem, normativem Unterricht und Kreieren eigener Aufgaben oder einer Scheinrealität (Tagträumen), um dem „Wie man es macht“ oder „Wie es eben ist“ und/oder Langeweile zu entkommen. emotional intensives emotionalen Erlebens, hohes Einfühlvermögen/Mitgefühl, starkes Gerechtigkeitsempfinden verbunden mit „Weltschmerz“ zu Problemen der Menschheit und Umgebung, starke Selbstkontrolle, affektive (Über-)Reaktionen gegenüber ihrer Umwelt. Somatische Marker: Bauchschmerzen, Kopfweh/Migräne bis Depression (Dabrowski 1964; Dabrowski & Piechowski 1977, Webb 2004). Begabung kann nicht generell mit erhöhter Sensibilität gleichgesetzt werden. Dennoch sind Zusammenhänge zwischen der Differenziertheit in der Wahrnehmung, im Denken und Fühlen sowie in der Tiefe des emotionalen Erlebens mit spezifischen Hochleistungsausprägungen plausibel. Zahlreich sind die Beispiele hochbegabter Menschen, die Merkmale der Hochsensibilität aufweisen und teilweise ernsthaft darunter leiden. Immer wieder finden sich bei Schülerinnen und Schülern mit häufigen Kopf- oder Bauchschmerzen oder überraschenden affektiven Reaktionsweisen unerkannte dahinterliegende Hochleistungspotenziale mit überhöhten Selbst- und Fremdansprüchen. 7. Begabung und Behinderung - Twice Exceptional Eine weitere Gruppe von Jugendlichen, deren (Hoch-)Begabungen oft nicht wahrgenommen werden, stellen sogenannte «Twice Exceptionals» dar. Darunter verstehen wir Schülerinnen und Schüler mit überdurchschnittlichem Leistungspotenzial bei gleichzeitiger Teilleistungsschwäche, die verhindert, dass die Begabungen erkannt, gefördert oder in entsprechende Leistung umgesetzt werden können. Das sind Jugendliche mit beispielsweise ADHS, Lese-Rechtschreibschwächen, Verhaltensdefiziten oder körperlichen Beeinträchtigungen mit überdurchschnittlichen Begabungspotenzialen oder Fähigkeiten. Diese zu erkennen ist oft nicht einfach; es erfordert eine ausgesprochen differenzierte Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler, ihres Verhaltens und ihrer Leistungspotenziale durch die Lehrperson in Zusammenarbeit mit spezifisch ausgebildeten Fachpersonen der Begabungsförderung oder Schulpsychologen (Reis & Renzulli 2004; Kalbfleisch & Iguthi 2008, 707). Quelle: Auszug aus: Müller-Oppliger, Victor (2017). Horizonte und Perspektiven der Begabungsförderung. In: Begabungsförderung steigt auf. Begabungsförderung auf der Sekundarstufe I. Hrsg.: Stiftung für hochbegabte Kinder & Mercator Schweiz. Bern: hep-verlag ag.