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  • Victor Müller-Oppliger

Taxonomien des Lernens – «Von MOTS zu HOTS»

In der Lerntheorie können die Lernziele und auch Lernprozesse entsprechend ihrer Anforderungen an die Lernenden in verschiedene Taxonomiestufen eingeordnet werden. Weltweit am bekanntesten sind für den kognitiven Bereich die von Benjamin Bloom beschriebenen sechs Lernzielstufen. Es sind aber auch – und dies wird oft wenig wahrgenommen – Taxonomiestufen für den affektiven und den psychomotorischen Bereich entwickelt worden, die für die Orientierung von Lernprozessen von Bedeutung sein können.


1956 entwickelte Benjamin Bloom mit seiner Gruppe von Erziehungswissenschafter/innen die Klassifikation kognitiver Lernstufen. Dabei wird unterstellt, dass höhere Lernstufen auf den darunterliegenden aufbauen und effektives höheres Lernen nicht gegeben ist, wenn die basalen Fähigkeiten der unteren Stufen nicht gewährleistet sind.



Klassische kognitive Taxonomie nach Bloom, Anderson & Krathwohl


Begabungs-/Begabtenförderung bedeutet im kognitiven Zusammenhang das Durchschreiten der Bloom’schen Taxonomiestufen. Und gerade die vertiefte Auseinandersetzung (Hoch-)Begabter mit Lerninhalten erfordern anspruchsvolle Aufgabenstellungen und Diskussionen auf den oberen Abstraktionsebenen des Denkens und Beurteilens.


Kognitive Taxonomien (nach Bloom 1956)

Abb.: Kognitive Taxonomien (nach Bloom 1956)


Stufe 1 Wissen/Kennen

Lernende kennen konkrete Einzelheiten (Begriffe, Definitionen, Fakten, Daten, Regeln, Gesetzmäßigkeiten, Theorien, Merkmalen, Kriterien, Abläufe; sie können Wissen abrufen und wiedergeben.


Stufe 2: Verstehen

Lernende können Sachverhalte in eigenen Worten erklären oder zusammenfassen und können Beispiele anführen; sie verstehen Zusammenhänge.


Stufe 3: Anwenden

Lernende können Wissen transferieren und auf neue Situationen übertragen.


Stufe 4: Analyse

Lernende erkennen Widersprüche und Zusammenhänge; sie können Folgerungen ableiten.


Stufe 5: Synthese

Lernende können Lösungswege vorschlagen, eigene Schemata entwickeln oder begründete Hypothesen entwerfen. Eigenes Wissenskonzept.


Stufe 6: Evaluation

Lernende können Alternativen abwägen und auswählen, Entschlüsse fassen und begründen, Transfer des Wissens in komplexe Situationen, Beurteilen von Situationen und Effekten/(Aus-)Wirkungen.



Neue Taxonomie im der kognitiven Domäne


In den 90er Jahren hat eine neue Gruppe von Kognitionspsychologen unter der Leitung von Lorin Anderson, einer früheren Studentin von Bloom in Zusammenarbeit mit Krathwohl das Modell überarbeitet und an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts angepasst. Dabei ist zu beachten, dass von (eher statischen) Substantiven zu Verben (also Aktionen) gewechselt wurde, womit ein Übergang zum Erlangen von Kompetenzen und Performanz (Handlungskompetenz) geschaffen wird.


Revidierte Taxonomy der kognitiven Domäne (Anderson and Krathwohl 2000)

Abb.: Revidierte Taxonomy der kognitiven Domäne (Anderson and Krathwohl 2000)


Stufe 1 Erinnern / Wissen Können Lernende Informationen wiederholen oder erinnern?


Stufe 2 Verstehen / Bedeutung Erfassen Können Lernende Ideen oder Konzepte erklären?


Stufe 3 Anwenden / Nutzen Können Lernende Informationen in einer neuen Situation nutzen?


Stufe 4 Analysieren / In den Zusammenhängen erfassen Können Lernende unterscheiden zwischen differenten Teilen/Aspekten?


Stufe 5 Evaluieren / Beurteilen, bewerten können Können Lernende eine Position oder Entscheidung beurteilen und bewerten?


Stufe 6 Kreieren / Neues schaffen innerhalb einer Domäne Können Lernende ein neues Produkt oder eine neue Sichtweise schaffen (generieren)?


Die Vermittlung von Higher Order Thinking Skills gilt seit Jahrzehnten zum bewährten pädagogischen Standard der Begabtenförderung. Sie finden ihre Entsprechung in der Formulierung anspruchsvoller Lernaufgaben, in der Diskussion von Lerninhalten und deren Bedeutung, aber auch in der Gestaltung von Prüfungsaufgaben und Kompetenznachweisen, in denen Lernende sowohl deklaratives Faktenwissen, kognitives Verstehen, aber auch prozedurales Kombinationswissen sowie Fähigkeiten der Übertragung, Anwendung oder eigener kreativer Umsetzung des Gelernten zeigen sollen.



Taxonomie im psycho-motorischen Lernen


Eine überzeugende Taxonomie von Dave (1975) strukturiert die Entwicklung von künstlerischen, handwerklichen oder sportlichen (Hoch-)Leistungen vom Nachmachen und Imitieren (etwa von Bewegungsfolgen, im Tanz, in der Musik, im künstlerisch gestaltenden Bereich, usw.) bis zur Perfektion und Verinnerlichung. Das Modell korrespondiert mit demjenigen zur Entwicklung von Skills von Reynolds (1965) und Bezug nimmt zu den grundlegenden Faktoren der Imitation im Erwerb von Handlungsweisen.


Abb.: Taxonomien nach Dave 1970

Abb.: Taxonomien nach Dave 1970


Stufe 1: Imitation/Nachmachen:

(Nachahmung z. B. von Bewegungs- oder Handlungsabläufen)


Stufe 2: Manipulation/Technik

(Umsetzen von Instruktionen, Festigung von Techniken)


Stufe 3: Präzision/Verfeinern

(Genauigkeit beim Üben der Abläufe und Techniken)


Stufe 4: Ausdifferenzierung/Struktur, Ordnung

(Differenziertes Ausgestalten, Strukturen und Ordnung erkennen und interpretieren)


Stufe 5: Naturalisierung/Authentizität

(Internalisierung der Abläufe; Personalisierung und Profilierung; Ablösung vom Modell)


Aus der Sicht der Expertiseforschung ist dazu anzumerken, dass zur Ausgestaltung von Exzellenz rund 10'000 Stunden an Übung (Gladwell 2008) sowie eine zielgerichtete «Deliberate Pracitice» erforderlich sind (Ziegler 2008). Unter «Deliberate Practice» wird eine dem jeweilig aktuellen Fähigkeitsstand angepasste und dabei herausfordernde (leicht über dem mühelos Erreichbaren) Übungsphase verstanden.


Für eine gezielte Begabtenförderung ergibt sich die Notwendigkeit, Übungsaufgaben auf dem jeweiligen Leistungsstand der Lernenden hin zu individualisieren. Ansätze, dies im Schulunterricht zu erreichen sind das Erfassen individueller Leistungsstände in Standortüberprüfungen, Portfolios und Lernjournale sowie in Lernberatungsgespräche und durch differenzierte Zielvereinbarungen mit den Schüler/innen.



Taxonomie im affektiven Bereich


Dem affektiven Bereich wird im schulischen Lernen oft wenig Aufmerksamkeit gezollt. Er handelt vom Aufbau von Werthaltungen und erstreckt sich von der Stufe des Erlebens wertegeleiteter Interaktionen und Handlungen bis zur Entwicklung eigener reflektierter Werthaltungen.


Affektive Taxonomien nach Krathwohl, Bloom & Masia 1964

Abb.: Affektive Taxonomien nach Krathwohl, Bloom & Masia 1964


Stufe 1: Aufmerksam/Achtsamkeit

Aufmerksamkeit, Beachtung von Werten, Sensibilisierung


Stufe 2: Ressonanz/In Beziehung treten

Positive Annahme und Akzeptanz von Werten


Stufe 3: Evaluation/Reflexion der Werte

Emotionaler Bezug; Werte für sinnvoll halten


Stufe 4: Aufbau des eigenen Wertesystems

Integration von Werten in eine Hierarchie reflektierter eigener Überzeugungen)


Stufe 5: Verinnerlichung von Werthaltungen

Authentizität, charakteristisches eigenes Wertekonzept



 

Bloom Taxonomien zur Differenzierung in heterogenen Klassen


Denkstufen nach Benjamin Bloom - eine Differenzierungsmöglichkeit in heterogenen Klassen


Beispiel zu Aufgabendifferenzierung mit den Bloom Taxonomien


 

Literaturnachweis


Aus: Müller-Oppliger, V. (2017). Horizonte und Perspektiven der Begabungsförderung. In: Begabungsförderung steigt auf. Begabungsförderung auf der Sekundarstufe I. Hrsg.: Stiftung für hochbegabte Kinder & Mercator Schweiz. Bern: hep-verlag ag.

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