Als Anhaltspunkte zum Erkennen besonderer Begabungen existieren zahlreiche Beobachtungsraster. Diese sind als Indizien, Möglichkeiten und Beobachtungslinien zu verstehen und keinesfalls als eine Art Checkliste, die von den einzelnen Kindern vollständig erfüllt werden könnten.
Der Übersichtlichkeit halber unterscheiden wir drei Bereiche
möglicher Verhaltensmerkmale:
1. Merkmale des Lernens und des Denkens als Hinweis auf hohe Begabung
hohes Detailwissen in einzelnen Bereichen
ungewöhnlicher und umfangreicher Wortschatz für ihr Alter
ausdrucksvolle, ausgearbeitete und flüssige Sprache
frühes Interesse an Buchstaben, Zahlen, Zeichen und Symbolen
häufig früh selbständig angeeignete Lesekompetenz (zw. 3 u. 6. Lebensjahr)
ungewöhnlich schnelles Lernen am Schulanfang
ausgeprägte Fähigkeit, sich Fakten schnell merken zu können hervorragende Gedächtnisleistungen (z.T. interessenabhängig)
genaues Durchschauen von Ursache-Wirkungsbeziehungen
intensive Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden
leichtes Erfassen von Muster, Strukturen und Ordnungsprinzipien
gutes Erkennen von zugrundeliegenden Prinzipien bei komplexen Aufgaben
besondere Fähigkeit, gültige Verallgemeinerungen herzustellen
aussergewöhnlich gute Beobachtungsgabe, sieht unerwartete Détails
selbstmotiviertes Lesen vieler Bücher; Bevorzugung von Büchern, die über die Altersstufe deutlich hinausgehen
komplexe Informationsverarbeitung, die manchmal für Lehrpersonen, Eltern und Lernbegleiter/innen nicht ohne weiteres nachzuvollziehen sind
die Tiefe und der Abstraktionsgrad ihres Denkens und Fühlens sind besonders ausgeprägt
frühes reflexives und logisches Denken
kritisches, unabhängiges und wertendes Denken
besondere Flexibilität im Denken, besonders schöpferisches und oft unangepasstes
Denken (Einsichten - Quersichten – Übertragungen, divergentes Denken; das Finden neuer und origineller Ideen)
2. Arbeitshaltung und Interesse als Hinweis auf hohe Begabung
selbstvergessenes Aufgehen in bestimmten Problemen (Flow-Erleben); auch: nicht loslassen können
Bemühen, Aufgaben stets vollständig zu lösen
Setzen von hohen Leistungszielen und Lösen (selbst) gestellter Aufgaben (oft mit einem Minimum an Anerkennung und Hilfe durch Erwachsene)
hoher Anspruch an sich selbst, Streben nach Perfektion
Kritische Haltung gegenüber dem eigenen Tempo (Ungeduld) oder Ergebnis; oft hohe Selbstkritik (im Zusammenhang mit Perfektionismus und Angst vor dem Versagen)
ausgeprägtes, meist anhaltendes Neugierverhalten mit dem Bestreben, Fragen und thematische Zusammenhänge in möglichst vielen Facetten zu durchdringen
breites Interessensspektrum (kann aber auch eng und spezifisch sein!)
Interesse an vielen «Erwachsenenthemen» wie Religion, Politik, Philosophie, Umweltfragen, Krieg, Sexualität, Gerechtigkeit in der Welt, usw. (viele moralische und philosophische Fragen)
Bevorzugung von unabhängigem Arbeiten, um hinreichend Zeit für das Durchdenken eines Problems zu haben oft (aber nicht immer!)
gute Fähigkeit zu planen, zu strukturieren und zu organisieren; auch in Bezug auf Menschen (Führungsqualität); Fähigkeit, problemlos und selbstverständlich vorauszudenken und Modelle zu entwickeln
Langeweile bei Wiederholungen und Abneigung gegenüber Routinearbeiten
starkes Bedürfnis nach Selbststeuerung und Selbstbestimmung von Tätigkeiten und Handlungsrichtungen
manchmal ungeschickt oder abwesend wirkend.
oft hohes Energieniveau (hochbegabte Kinder wirken oft hyperaktiv!)
3. Merkmale des sozialen Verhaltens als Hinweis auf hohe Begabung
Häufig hoch sensible Wahrnehmungsfähigkeit sozialer Interaktionen
Beschäftigung mit grundlegenden psychosozialen Fragestellungen («Recht – Unrecht», «Gut – Böse»); oft hohe moralische Ansprüche an sich und die Umwelt
Einfühlvermögen und Aufgeschlossenheit für politische und soziale Probleme
starker Gerechtigkeitssinn, verbunden mit der Bereitschaft, sich ggf. auch gegen Autoritäten zu engagieren
Individualismus; manchmal ausgeprägte Eigenwilligkeit; streben nach Eigensinn, d.h. Wille einen eigenen Sinn in Regelungen oder Gegebenheiten zu finden; Nonkonformismus
Akzeptanz von Meinungen und Autoritäten oft erst nach einer kritischen Prüfung
oft besondere Verantwortungsbereitschaft und –fähigkeit, Zuverlässigkeit
unter Umständen Neigung, schnell über Situationen zu bestimmen
selbstbestimmte Wahl von Gleichbefähigten als Freunde, häufig Ältere.
Quellen:
Heilmann, K. (1998) Hochbegabung erkennen, hochbegabtes Kind, Schüler, Schule
BMBF (2001): Begabte Kinder finden und fördern. Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer.
Heinbokel A. Erkennen, Probleme, Lösungswege (2001)