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  • Nicole Vontobel

Spuren des Lernens – Portfolio

Fürs selbstgesteuerte Lernen ist das Bewusstsein für das eigene Lernen essenziell. Lernende müssen erkennen, wo sie sich im Lernprozess befinden, was sie bereits erreicht haben, was noch vor ihnen liegt (Lipowski 2002, S. 136). Eine andere grosse Rolle spielen die metakognitiven Fähigkeiten.


In Selbstlernarchitekturen wird von Lernenden erwartet, dass sie sich realistische Ziele setzen, diese bewusst verfolgen, Arbeitsprozesse planen, steuern und überwachen und «Ergebnisse an den gesetzten Gütemassstäben und Zielen» (Lipowski 2002, S. 136) bewerten. Ein geeignetes Instrument, um die Arbeitsprozesse zu planen, steuern und zu reflektieren, bietet neben der Lernberatung die Arbeit mit einem Lernjournal oder Lerntagebuch, einem integrativen Element des Portfolios.


Es gibt unterschiedliche Formen von Portfolios, die sich nach Zweck, Unterrichtsform, Medium oder Art der Qualifikation unterscheiden können, z.B. ächer- bzw. Themenportfolio, Entwicklungs- oder Lernportfolio, Präsentationsportfolio (»Best-Off«), Talentportfolio, Qualifikations- oder Evaluationsportfolio, Sprachenportfolio oder Bewerbungsportfolio (Jervis 2002, S. 280 f.; Johnson/Rose 1997, S. 157 ff.; Lissmann 2000, S. 292 ff. In: Müller-Oppliger 2014, S. 194).


Arbeit mit dem Portfolio


Die Form/Gestaltung des Portfolios ist frei. Es kann eine liebevoll, selber verzierte Schachtel, eine Schatztruhe, ein Ordner, ein Ringheft, ein E-Portfolio sein.


Ein einfaches Portfolio kann schon im Zyklus 1 eingeführt werden. So werden die Voraussetzungen geschafft, damit Kinder nach und nach die Fähigkeit entwickeln, «das eigene Handeln und das Ergebnis einer Arbeit in Bezug zu vorgegebenen Kriterien zu setzen» (Blanc, Lieger, Huber, Rützler 2021, S. 6).


Die Arbeit mit Portfolios umfasst folgende Schritte (Blanc, Lieger, Huber, Rützler 2021):


  1. Sammeln von gelungenen und auch weniger gelungenen Originalarbeiten (Zeichnungen, Skizzen, Arbeitsblätter etc.) zur Reflexion.

  2. Kommentieren der ausgewählten Originalarbeiten durch Lehrpersonen oder auch in Form von Peer-Feedbacks. Zu den Kommentaren zählen das Beschreiben des Entstehungs-Kontextes und die Bedeutung für die Lernenden und ihr weiters Lernen.

  3. Reflexion über das eigene Lernen. Die metakognitiven Fähigkeiten, die dafür erforderlich sind, müssen nach und nach aufgebaut und geübt werden. Gerade bei Kindern im Zyklus 1 gelingt die Lernreflexion nur durch eine systematisch geplante, enge Prozessbegleitung durch die Lehrperson.

  4. Präsentieren der Portfolios in einem geeigneten Rahmen (z.B. bei Mitschülern oder Eltern) mit aufbauenden Feedbacks zum Arbeitsprozess.

  5. Feedbacks mittels Portfoliogespräche. Diese stärken die Beziehung zwischen der Schülerin oder dem Schüler und der Lehrperson und rücken die Selbstwirksamkeit der Lernenden in den Fokus. Zudem wird eine förderliche Feedbackkultur gestärkt und gelebt.

  6. Regelmässigkeit der Portfolio-Arbeit. Durch die Regelmässigkeit wird das Portfolio zum integralen Bestandteil des Unterrichts.

Damit der Start mit dem Portfolio gelingt, ist eine gute Planung erforderlich. Fragen, Ziele, Form und Funktionen müssen geklärt sein (Müller-Oppliger 2023).


Talentportfolio


Das Portfolio kann zum stärkenorientierten Talentportfolio weiterentwickelt werden. «Das Talentportfolio erzählt die Geschichte der individuellen Stärken und Begabungen von Lernenden, wobei Lernende unterstützt werden, alles ins Talentportfolio aufzunehmen, was ihnen hilft, diese Geschichte besser zu erzählen.» (Eisenbart et al. 2010, S. 1-4 auf lissa-preis.ch). Als dynamische und systematische geführte Mappe von schulischen und ausserschulischen Tätigkeiten zeigt das Talentportfolio folglich die (reflektierten)  Interessen, Stärken und Fähigkeiten eines jungen Menschen (Purcell/Renzulli (1998) in: Müller-Oppliger 2014, S. 195).


Dazu zählen (vgl. Paulson/Paulson/Meyer 1993; Lissmann 2000; Winter 2015; Müller-Oppliger 2017; in: Müller-Oppliger 2021 S. 437):

  • die besten Informationen in Bezug auf Fähigkeiten (ausgewählte Produkte, Diplome, Auszeichnungen), Interessen (z.B. Multiple Intelligenzen nach Gardner) und Stilvorlieben (Lernstil, Lernumfeld, Lernpräferenzen, Denkstil, Ausdrucksstil)

  • Stärken (Dokumentation und Nachweise von Engagement und Können) mit Kommentaren und Feedbacks von Lernbegleitenden, Peers, Eltern

  • Kompetenzraster mit fachlichen und überfachlichen Kompetenzen (sozial/personal/methodisch)

  • Lernplanung («Logbuch») und Lernzielvereinbarungen

  • die reflektierte Entwicklung des Lernens (Lernwege, Widerstände, eigenes Lernen, Lernstrategien, Motivation und Selbstansprüche), um das eigene Lernen besser zu verstehen)

Zudem findet ein reflexives Nachdenken und Festhalten statt (Eisenbart et al. (2010):

  • über die eigene Person (Befinden, Gefühle, Interesse, Durchhaltevermögen, Selbstmotivation, Wille …)

  • über die Lernaufgabe/das Problem (Schwierigkeitsgrad, eigene Fähigkeiten, Zusammenhang zwischen Anstrengung und Erfolg)

  • Lernhindernisse und Lernhilfe (Lernstrategien, Arbeitstechniken, Stilvorlieben, Sozialformen, etc.)

  • Lernwünsche und neue Lernziele (Selbstbeurteilung, Wünsche, Visionen)


Die Arbeit mit Talentportfolios erfordert aufgrund des hohen reflexiven Charakters entsprechende metakognitive Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern, was insbesondere leistungsschwächere Lernende überfordern kann. Die Arbeit mit dem Talentportfolio und den unterstützenden Lerndialogen fördern «ein positives Selbstverhältnis zu den eigenen Potenzialen und deren Umsetzung in Leistung» (Müller-Oppliger 2014, S. 209).


Das Lernjournal oder Lerntagebuch als integratives Element des Portfolios


Das Lernjournal dient dazu, die Themen und Lerninhalte zu planen, Lernsequenzen nach Plan durchzuziehen, Lernnotizen zu erstellen, Gelerntes, den Wissenszuwachs und eigene Lernmethoden zu reflektieren. Folgende Leitfaden regen die Lern- und Selbstreflexion an (Lipowski 2002, S. 150):


«Was hast du gemacht/bearbeitet?»

«Was hast du Neues erfahren?»

«Was weisst du nun, was du vorher noch nicht wusstest?»

«Hattest du Schwierigkeiten und Probleme? Wie hast du dir geholfen?»


Abb: Lernjournal-Auszug aus dem Modul 2 im CAS IBBF FHNW. Anstelle einer Word-Vorlage wurde das «Learning Journal» von Leuchtturm1917 verwendet.


Lernjournale bieten ein hervorragendes Instrument, um «kognitive Vorgänge, aber auch emotionale und soziale Aspekte des Lernens sichtbar zu machen» (Lipowski 2002, S. 150). Es finden sich Hinweise zu Lernpräferenzen, Lernmotivation, aber auch Lernwiderstände und Schwierigkeiten.


Beim Lernjournal kommt es weniger auf die Form, als auf die Prozess an. Das Bewusstsein für das eigene Lernen stärkt das Selbstwirksamkeitsgefühl. Lernende erleben sich als Verursacher ihres Handels, was sich wiederum positiv auf ihre Leistungsmotivation auswirkt.  Darüber hinaus werden reflexive und metakognitve Kompetenzen gefördert (Lipowski 2002, S. 150).


 

Quellen


  • Lipowsky, F. (2002). Zur Qualität offener Lernsituationen im Spiegel empirischer Forschung - auf die Mikroebene kommt es an. In: Drews, U.; Wallrabenstein, W. (Hrsg.), Freiarbeit in der Grundschule. Offener Unterricht in Theorie, Forschung und Praxis (S. 126- 159). Frankfurt am Main: Grundschulverband.

  • Eisenbart U., Schelbert B., Stokar-Bischofberger E. (2010): Stärken entdecken – erfassen – entwickeln = e3 Das Talentportfolio in der Schule. Bern: Schulverlag Plus S.1-4, 9-11, 24-27, 61-66.

  • Müller-Oppliger, V. & Weigand G. (2021). Handbuch Begabung. Erweiterte Leistungsbeurteilung – Portfolio, Lernjournal, Kompetenzraster & Co. Weinheim: Beltz.S. 427-440.

  • Blanc B., Lieger C., Huber F., Rützler, W. (2021): Portfolio in der Schule Anregungen für Schulleitungen und Lehrpersonen. Bildungsdirektion Kanton Zürich: Volksschulamt.

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